Eine Bernerin mit Leib und Seele

Zu Gast bei Marianne Kauer

Marianne Kauer empfängt mich im Garten des Erlacherhofs, dem Ort, wo der Berner Stadtpräsident residiert. Es ist auch der Sitz der Fachstelle für die Gleichstellung von Frau und Mann der Stadt Bern, wo sie als Projektleiterin für den Schwerpunkt Gleichstellung von LGBTIQ-Menschen zuständig ist.

Marianne ist ganz in schwarz gekleidet, aufgelockert durch eine pinke Halskette. Auf schwarze Kleidung sei sie schon immer gestanden, das sei unkompliziert. So begegnet sie mir auch: unkompliziert und zudem offen, neugierig, wohlüberlegt und klar strukturiert im Sprechen, engagiert. «Was ich anpacke, mache ich leidenschaftlich gern», beschreibt sie sich selber. Ihre Leidenschaft für die Thematik hilft ihr, mit den Herausforderungen umzugehen, die eine Tätigkeit in einer Verwaltung zu diesem Thema mit sich bringt. Augenzwinkernd meint sie, ein «langer Atem sowie die Gabe zum unaufgeregten Dranbleiben» zeichneten sie aus.

Ursprünglich zur Primarlehrerin ausgebildet, entschied Marianne Kauer sich für das Studium der Psychologie (wo sie auch doktorierte) und Soziologie. Es folgten berufliche Jahre als Assistentin an der Universität und als Dozentin an der Pädagogischen Hochschule sowie als Projektleiterin bei der Stiftung «Kinderschutz Schweiz». Als der Berner Gemeinderat aufgrund verschiedener politischer Vorstösse 2018 eine Stelle zur Förderung der Gleichstellung von LGBTI-Menschen schuf, bewarb sie sich und erhielt die Stelle. Zu den Aufgaben der Fachstelle gehört die Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern bzw. LGBTIQ-Menschen innerhalb der Stadtverwaltung und in der gesamten Stadtbevölkerung. Marianne Kauer ist zuständig für das Erteilen von Auskünften, für Beratungen, Triagen, Öffentlichkeitsarbeiten, Publikationen und Schulungen sowie für die Mitarbeit bei der Beantwortung von politischen Vorstössen oder die Durchführung von Gleichstellungsprojekten, wie dem Berner Aktionsmonat LIKEEVERYONE im Mai dieses Jahres. Die Gleichstellungsarbeit in der Stadt Bern wird durch Aktionspläne vorangetrieben. Im aktuellen Aktionsplan sind erstmals auch Massnahmen zugunsten von LGBTIQ-Menschen enthalten (www.bern.ch/aktionsplangleichstellung).

LGBTIQ – das «Q» steht für «queer» und ist ihr wichtig. Als Sammelbegriff umfasst «queer» alle Menschen, die aufgrund von ihrer sexuellen Orientierung, ihrem biologischen Geschlecht, ihrer Geschlechtsidentität oder ihres Geschlechtsausdrucks von den Erwartungen der Gesellschaft abweichen. Das damit verbundene Risiko, deswegen Gewalt und Diskriminierungen zu erleben, ist das, was alle LGBTIQ Menschen miteinander verbindet. Dass das «T» und «I» für «trans» und «intergeschlechtlich» von Anfang an bei der Erweiterung des Gleichstellungsauftrages der Fachstelle mit dabei waren, freut sie besonders. Nirgends so stark wie hier werde die heteronormative Vorstellung von zwei (und nur zwei!) Geschlechtern strapaziert. An diesem Punkt ist sie Feuer und Flamme. Bei Diversitätsfragen gehe es immer auch um die Frage von Macht und Deutungshoheit, um den Erhalt von Privilegien und darum, wer verbunden mit welchen Interessen marginalisiert werde. Hinter queer-feindlichen Angriffen stehe die Angst vor dem Zusammenbruch traditioneller Geschlechterrollen, Aufgabenverteilungen und Ehe- bzw. Familienvorstellungen. Die Welt mit einer klar definierten zweigeschlechtlichen Ordnung solle da erhalten bleiben.

Marianne fügt an, auch ihr sei natürlich bewusst, dass die Biologie immer wieder «weibliche» und «männliche» Prototypen hervorbringe. Aber nicht nur das Spektrum an sozialen und psychologischen Geschlechtsausprägungen, sondern auch die biologischen Variationen seien grösser, als man landläufig meine.

Braucht es denn ihre Stelle heute noch? «Ja, unbedingt», erwidert sie: «Solange es Gewalt gegen LGBTIQ-Menschen gibt, solange diese psychosozial überdurchschnittlich stark belastet sind, solange queere Menschen häufiger suizidal sind, solange Abtreibungen von und operative Eingriffe bei intergeschlechtlichen Kindern vorgenommen werden, solange Junge sich wünschen, nicht schwul, lesbisch, trans oder anders queer zu sein – solange braucht es diesen Gleichstellungsauftrag noch.»

Wer ist Marianne Kauer, in einem Satz zusammengefasst? «Eine Bernerin mit Leib und Seele, wohnhaft im ehemaligen Elternhaus im Wylergut, angekommen in der Lebensmitte.» Anfang 20 verliebte sie sich erstmals in eine Frau, beging nach anfänglichem Hadern «Flucht nach vorne» und gründete das Berner Schulprojekt ABQ (AB-Queer statt ABC). «Diese Arbeit hat mich empowert», sagt sie. Mit 30 verspürte sie einen starken Kinderwunsch. Sohn Nico (12) und Tochter Lina (9) haben je einen schwulen Vater, beide Väter übernehmen 50 Prozent der Betreuungsarbeit. Mittlerweile sind auch Partner*innen zur «Patchwork-Regenbogenfamilie» hinzugekommen. Alle Familienmitglieder wohnen nahe beieinander und treffen sich regelmässig zum Essen, zum gemeinsamen Feiern oder für Ferien. Das Familienmodell sei organisatorisch manchmal ein bisschen kompliziert, bilanziert sie, aber es bringe auch viele Vorteile und Freiheiten für alle mit sich. Rückblickend bedauere sie nichts, sie würde alles wieder gleichmachen.

Gegen Schluss des Gesprächs überrascht Marianne Kauer mich mit der beiläufigen Bemerkung, zu ihren Freizeitbeschäftigungen und Talenten gehöre es, Cartoons zu zeichnen und zu publizieren (vornehmlich mit Motiven aus der Welt von Kindern). Zudem kommen wir noch auf ihr Motto «Man muss die Welt nehmen, wie sie ist, aber nicht so lassen» zu sprechen. Gestärkt gehe ich aus dieser Begegnung weg, beeindruckt durch Mariannes Mut, auch gegen Widerstände eigene kreative Wege zu gehen.

Hermann Kocher

(Text aus dem habinfo Sept./Okt. 2021
https://habqueerbern.ch/vereinszeitung-habinfo/

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