DJ Coreys MusikTipps für den Sommer 2021

Michaela Jaé, Mykki Blanco, Bright Light Bright Light, Jack Savoretti, Clara Luciani, Marco Mengoni, Mahmood, Joan Armatrading, Amythyst Kiah, Joy Oladokun, John Grant.

Die Debüt-Single der «Pose»-Schauspielerin MJ Rodriguez alias Michaela Jaé. Das tanzbare Hip-Hop-Mini-Album der Rapper*in Mykki Blanco. Bright Light Bright Light fühlt sich “So Gay, So Dramatic”. Frischer Sommer-Sound aus Europa mit Jack Savoretti, Clara Luciani, Marco Mengoni und Mahmood. Queere schwarze Musikerinnen von gestern und heute: Joan Armatrading, Amythyst Kiah und Joy Oladokun. Last but not least: die queere Autobiografie von John Grant.


Ballroom-Szene, Rap meets Disco und Pop, So Gay & So Dramatic

Hinter dem Namen Michaela Jaé verbirgt sich die Schauspielerin MJ Rodriguez. Die transsexuelle 30-jährige ist durch ihre Rolle der Blanca in der TV-Serie ‘Pose’ international bekannt geworden. Inzwischen gilt sie weltweit als grosses Vorbild für viele Transmenschen. Die Serie “Pose” handelt von der New Yorker Ballroom-Szene zu Beginn der Aids-Epidemie. Die Ballroom-Szene ist damals ein Zufluchtsort für queere und Transmenschen mit latein- und afroamerikanischen Wurzeln gewesen. Es ist also naheliegend, dass sich MJs Debüt-Single musikalisch an den Sound von damals orientiert: 80’s R&B mit einer Prise House. «Something To Say» (Access Records) ist eine wunderbare Empowerment-Hymne für mehr Diversität und Inklusion. Und ein Anwärter auf den LGBTQI+- Sommer-Song des Jahres.

Mykki Blanco ist seit 2013 die Gallionsfigur des queeren Rap in New York. Die Musikerin, Dichterin und Aktivistin stellt mit ihrer Kunst die Klischees der Hip-Hop-Szene gern in Frage. Auf «Broken Hearts And Beauty Sleeps» (Transgressive) erweitert Mykki Blanco ihr musikalisches Spektrum auf Disco, Pop und sogar Tango. Sie hat nach wie vor keine Angst vor geschlechtlichen Einordnungen und musikalischen Schubladen. Mit dem Mini-Album «Broken Hearts And Beauty Sleeps» ist ihr wohl das tanzbarste Rap-Album des Jahres gelungen.

Der walisische Singer/Songwriter Rod Thomas alias Bright Light Bright Light hat sich schon immer mit Stolz auf seine Verwurzelung in der LGBTQI+-Gemeinde bezogen. Mit seinem Disco-Funk-House-Album “Fun House” hat er nicht nur den schwulen Clubs als sicheren Zufluchtsorten ein Denkmal gesetzt, sondern auch das Who is Who der LGBTQ+-Stars von damals und heute versammelt. Die Lancierung seiner neuen Songs-Kollektion «So Gay, So Dramatic» (YSKWN!/Rod Thomas) fällt mit dem Schluss des Pride-Monats zusammen. Es handelt sich um Songs, die bisher auf kein reguläres Album geschafft haben. Auf der “So Gay”-Hälfte geht die Disco-House-Party mit tanzbaren Nummern weiter. Die “So Dramatic”-Hälfte lädt indessen zum Träumen und Chillen ein.


Frischer Sommer-Sound

Wer kennt das nicht? Die ersten Sommerferien am Meer ohne Eltern, die ersten Nächte im Club, die ersten Küsse, die kurzen, aber intensiven Ferienflirts. Das sind prägende Ereignisse für junge Erwachsene. Dabei spielt Musik eine nicht untergeordnete Rolle. Denn sie wird in uns stets diese Gefühle der Sehnsucht hervorrufen.

Solche Gefühle hat Jack Savoretti auf seinem neuen Album wunderbar aufgefangen. Der Brite mit italienischen Wurzeln und Tessiner Vergangenheit hat mit «Europiana» (EMI) einen Liebesbrief an die europäische Pop-Musik der 70er- und 80er-Jahre geschrieben. Damals fusionierten Disco, Funk und Soul mit der melodischen Pop- und Songwriter-Tradition Europas. Auf „Europiana“ führt Jack Savoretti diese Elemente zu einem prickelnden Mix zusammen. Mit von der Partie sind der legendäre Disco-Guru Nile Rodgers und John Oates, die scheue Hälfte des amerikanischen Duos Hall&Oates.

Auch die Französin Clara Luciani steckt auf ihrem zweiten Album «Coeur» (Universal) bezüglich Coverbild und Sound tief im Disco-Fieber. Im französischen schwulen Magazin «TETU» wird sie schon jetzt als neue LGBT-Ikone gefeiert. Nach dem stratosphärischen Erfolg von ‘Sainte-Victoire’, geliebt vom Publikum, gelobt von der Kritik und zweimal prämiert bei den Victoires de la Musique (den französischen Grammys), doppelt Clara Luciani mit «Coeur» nach. Mit dancigen, funkigen Stücken und wenigen, aber nicht minder schönen Balladen, darunter einem Duett mit Julien Doré, läutet «Coeur» die neue Ära des Hedonismus und Eskapismus ein.

Auf den Disco-Zug springt ebenfalls der italienische Sänger und ehemalige X-Factor-Sieger Marco Mengoni auf. Für seine neue Single nach einigen Jahren Funkstille hat sich Marco Mengoni mit dem deutschen DJ und Produzent PURPLE DISCO MACHINE zusammengetan. Mit der sehr gelungenen Kollaboration «Ma Stasera» (Epic/Sony) beamen Mengoni und PDM den Italo-Disco-Sound der 80er-Jahre in die Gegenwart.

Italiens grösster Musik-Export ist derzeit die ESC-Gewinner-Band Måneskin. Für alle, die mit ihrem aus der Zeit gefallenen Glam Rock nicht viel anfangen können, gibt es immerhin noch Mahmood, den italienischen ESC-Kandidat von 2019, der mit Soldi den zweiten Platz belegte. Der Mailänder mit sardischen und ägyptischen Wurzeln hat ein neues Album im Gepäck. «Ghettolimpo» (Island/Universal) ist wie ein Video-Game konzipiert. Das Album erzählt die Geschichte eines Helden im alten Griechenland, der seine Identität bei jedem weiteren Level (sprich: Song) immer weiter preisgibt und wieder neue Identitäten annimmt.

Es ist der Versuch einer Versöhnung mit sich selbst, mit den eigenen Stärken und Schwächen. Der Mix aus Trap, Hip-Hop und R&B mit italienischen Canzoni, orientalischen Klängen und sogar sardischen Chören klingt einmal mehr frisch.


Three queer black women

Die in England aufgewachsene Joan Armatrading hat ihr erstes Studioalbum bereits 1972 veröffentlicht und ist bis heute musikalisch aktiv geblieben, auch wenn die Zeit ihrer grossen Erfolge lange zurückliegt. Seit 1986 produziert Joan Armatrading ihre Alben selber und spielt alle Instrumente auch noch selbst ein. Auf ihrem 22. Studioalbum «Consequences» (BMG) besingt die Musikerin das universale Thema Liebe und lässt sich musikalisch nicht einordnen. Ihr Sound aus Pop, Jazz, Soul, New Wave ist nach wie vor melodiös und eingängig. Armatradings unverkennbare, warme und zugleich dunkle Stimme bleibt definitiv ein Pluspunkt des Albums. Mit «Consequences» plädiert Joan Armatrading für Toleranz im zwischenmenschlichen und musikalischen Bereich. Auftrag erfüllt.

Im Vergleich zu den nächsten zwei jüngeren schwarzen Songwriterinnen ist für Joan Armatrading ihre lesbische Orientierung für längere Zeit kein Thema gewesen. Entsprechende Gerüchte hat sie erst dann bestätigt, als sie 2011 ihre langjährige Freundin, die Künstlerin Maggie Butler, geheiratet hat.

Die 34-jährige Amythyst Kiah stammt aus Tennessee. Nicht nur ihre starke, wandlungsfähige Stimme ist die grosse Hauptdarstellerin auf ihrem Debütalbum «Wary+Strange» (Concord), sondern auch ihr Talent, Gospel, Country, Blues, Folk und die Musik der Appalachen zu einem kunstvollen und kohärenten Ganzen zu verweben.

Die Songwriterin Joy Oladokun hat sich als Vorbild Tracy Chapman genommen. Das Video zu Chapmans Auftritt beim Nelson Mandela-Benefiz-Konzert am 11. Juni 1988 im Londoner Wembley-Stadion hat sie regelrecht umgehauen und motiviert, sich für die Anliegen von schwarzen und queeren Frauen zu engagieren. Im Vergleich zu Amythyst Kiah ist Joy Oladokuns Alternative Folk eine Spur poppiger aber nicht minder spannend geraten. Auf ihrem Album «In Defense Of My Own Happiness» (Amigo Records) begeistert Joy Oladokun mit exzellent produzierten Folk-Pop-Songs. Anspieltipps: «Someone That I Used To Be», «Sorry Isn’t Good Enough» und die Kollaboration mit Maren Morris «Better Man».


John Grants Coming-Of-Age-Album

«Boy Of Michigan» (Bella Union) ist John Grants musikalische Autobiografie seiner Jugendjahre in Michigan und Colorado. Der religiöse Hintergrund und der grassierende Kult der toxischen Männlichkeit haben John Grant damals daran gehindert, offen zu seiner Homosexualität zu stehen. Das hat zu einer schlimmen inneren Zerrissenheit geführt, die ihn fast das Leben gekostet hätte. Heute lebt John Grant in Island und schämt sich nicht mehr für sein Schwulsein. Zudem hat er seine HIV-Erkrankung im Griff und den Drogen abgeschworen. Auf epischen Balladen oder elektronisch angehauchten Nummern lässt der sprachgewandte John Grant seine bewegte Vergangenheit Revue passieren und schliesst endlich Frieden mit sich selbst.


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Playlist


Die Musiktipps von DJ Corey immer am 1. Sonntag im Monat im QueerUp Radio auf Radio RaBe
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