«Bei Philippi sehen wir uns wieder» ist der erste Roman von Reto-Dumeng Suter. Wie sein Held in diesem unterhaltsamen Krimi ist auch der Autor ein Auslandschweizer. Er ist derzeit 1800 km Luftlinie von Bern entfernt. Wir haben uns per Videotelefon über sein Buch und sein Leben unterhalten.
Reto-Dumeng Suter hat 10 Jahre an diesem Buch gearbeitet. Seit einem Monat ist «Bei Philippi sehen wir uns wieder» im Buchhandel erhältlich. Da ich Reto persönlich kenne, hab ich mir das Buch sofort besorgt. Mit einem etwas mulmigen Gefühl begann ich zu lesen. Wenn man etwas liest, von jemandem den man persönlich kennt, und den man bald dazu befragen will, kommt ein wenig Angst auf. Was wenn es mir nicht gefällt? Wenn es mies ist? Was sag ich dann zu ihm? Meine Befürchtungen waren umsonst. Sein schwuler Mittelmeerkrimi ist sehr unterhaltsam und sein Romanheld ist ein komplexer, aber auch sympathischer und witziger Charakter. Und darum geht es:
Ruwen ist Schweizer und lebt in Barcelona, wo er in einer Agentur für Werbefilme arbeitet. Auf seine Heimat schaut der junge Single-Mann etwas zwiespältig und liebt es, Vergleiche zu machen zwischen der braven Schweiz und dem etwas (zu) lockeren Spanien. Endlich hat er Ferien, welche er in Sitges verbringt, in einem Hotel, in dem er seit Jahren absteigt. Dass nach diesen Ferien alles anders sein wird, und er sich eingestehen muss, dass er ein stellenloser, untreuer, betrügerischer Krimineller ist, ahnt er noch nicht. Alles beginnt damit, dass er den hübschen Franzosen Julien in einem Club abschleppt. Dieser nimmt ihn mit in eine Villa, wo sie eine betrunkene Liebesnacht verbringen. Am nächsten Morgen entdecken sie eine Leiche im Wohnzimmer. Wer der Tote ist, wissen sie nicht. Die Polizei rufen will Julien nicht, weil er etwas zu verbergen hat, und dann klingelt es auch noch an der Tür! Schnell muss die Leiche versteckt werden, denn es trudeln Gäste ein, die an einer Party teilnehmen wollen, zu der ein ‚El Presidente’ eingeladen hat. Es ist eine Sexparty, stellen die beiden schnell fest, und geben sich als Stellvertreter für den vermissten Gastgeber aus. Und so nimmt das Unheil seinen Lauf. Die Leiche landet bald in der Tiefkühltruhe. Einer der Gäste, ein junger Italiener, bleibt, die Kreditkarten des Tiefgefrorenen werden benutzt, und die frisch Verliebten beginnen zu ermitteln, um rauszufinden, wer da tot im Wohnzimmer lag und wieso dieser sterben musste. Die Ermittlungen führen nach Bern, Hamburg, Ibiza und nach Mykonos, wo sie auf viele originelle Menschen treffen. Dass es sich bei ‚El Presidente’ um einen Kriminellen handelt, der offensichtlich mehrere Identitäten hatte und möglicherweise selbst Tote zu verantworten hat, wird bald klar. Doch wie kommen die beiden heil aus der Sache raus?
Der erste Roman des Solothurners Reto-Dumeng Suter trägt den Titel «Bei Philippi sehen wir uns wieder». Wie der Hauptdarsteller in seinem Mittelmeerkrimi ist auch er ein Schweizer der im Ausland lebt. Reto ist in Grenchen aufgewachsen und lebte lange in Bern. Er hat Psychologie studiert, war Primarlehrer, unterrichtete Deutsch und Musik in Barcelona und bietet heute unter eresmas.ch Coachings und Kurse zu Führung und Embodiment an. Zudem ist er Pilates Trainer. Jetzt habe ich ein Date mit ihm – virtuell. Ich klicke auf den Link für das Online-Interview. Reto ist im Bild. Hinter ihm eine weisse Wand, an der hängt ein blaues Bild. Das Meer mit einem feinen Lichtstreifen.
Hallo Reto! Wo bist du gerade?
Auf Mykonos. Im Juli und August bin ich immer hier, weil ich Pilates-Stunden für Tourist*innen gebe. Letztes Jahr bin ich allerdings nach Paros umgezogen, eine Nachbarinsel, denn Mykonos ist etwas überlaufen heutzutage. Paros ist ruhiger. Im Winter bin ich meistens in Bern. Dann mache ich die Coachings.
Schon vor gefühlten 10 Jahren hörte ich zum ersten Mal, dass du ein Buch schreiben willst.
Das ist lustig, dass du das sagst. Es sind tatsächlich 10 Jahre! Damals habe ich drei Monate unbezahlten Urlaub genommen, um bei meinem Freund in Mykonos zu sein. Als Grund gab ich meinem Arbeitgeber an, dass ich ein Buch schreiben will. Was ich dort dann nicht machte. Ich hatte zwar ein angefangenes Krimi-Projekt in der Schublade, hatte aber nie vor, mich hinzusetzten und ein Buch in drei Monaten zu schreiben. Ich habe oft angefangen mit Schreiben und es wieder beiseite gelegt – manchmal Jahre lang. So hat es über 10 Jahre gebraucht, bis das Buch fertig war.
Von der ersten Idee bis zum tatsächlichen Buch. Was hat sich inhaltlich geändert?
Zuerst schrieb ich es in der ersten Person. Dann habe ich alles umgeschrieben auf die dritte Person. Neue Figuren kamen dazu, ich habe Sachen umgekrempelt, und das immer mit langen Schreibpausen dazwischen. Vor zwei Jahren war ich in Rom und sagte mir: So, jetzt führst du das zu Ende, sonst wird das Buch nie fertig. Sonst ist die Zeit vorbei, bin ich zu alt dafür, denn die Geschichte entstand aus gewissen Erlebnissen und Stimmungen, die noch frisch waren. Die mussten aufs Papier bevor sie verblassen. Also reiste ich nach Sizilien, wo ich niemanden kenne, habe mich sozusagen eingeschlossen und das Buch fertig geschrieben.
Ich reiste nach Sizilien, wo ich niemanden kenne, habe mich sozusagen eingeschlossen und das Buch fertig geschrieben.
Das Buch war geschrieben. Nun musste ein Verlag gefunden werden.
Ich habe das Manuskript an ungefähr acht Verlage geschickt. Alles Verlage in Deutschland, die auf Gay-Literatur spezialisiert sind. Ich bekam von den meisten eine Antwort. Einer ging soeben bankrott, der andere nimmt keine Krimis, dem einen war es zu langweilig, dem anderen gefiel der Schluss nicht. Interessiert war schlussendlich der Himmelstürmer Verlag. Als der Vertrag unterschrieben war, ging es nochmals 10 Monate, denn dann kam der Lektor des Verlags ins Spiel.
Wie ist es gelaufen mit dem Lektor? Es ist ja oft eine heikle Beziehung zwischen Autor und Lektor, wenn da einer dem Schriftsteller sagt, was man anders und besser machen könnte.
Als ich das Buch vom Lektor zurück bekam, «isch mirs grad verleidet». Wenn man Jahre daran schreibt, und dann jemand Wörter streicht und ändert, findet man das nicht so toll. Das geht wohl allen Autoren so. Besonders um erfundene Wörter musste ich kämpfen. Ich liebe es, neue Wörter zu erfinden. Einige sind zum Glück drin geblieben. Als ich dann am Schluss nochmals alles durchlas, musste ich dem Lektor Recht geben. Es liest sich jetzt flüssiger. Ich bin über meinen Schatten gesprungen und habe gemerkt, dass ich von ihm auch lernen kann. Es ist die ewige Diskrepanz zwischen Künstler und Marketing. Beim Cover gab es auch Diskussionen. Ich hätte gerne eine mystische mykoniotische Kirche auf dem Cover gehabt. Der Verlag sagte, es muss ein Mann drauf sein. Aber dann bitte keinen nackten! Jetzt ist es ein Kompromiss.
Mich wundert nicht, dass du den Roman zuerst in Ich-Form geschrieben hast. Auch wenn ich dich nicht sehr gut kenne, habe ich dich doch in der Hauptfigur Ruwen wiedererkannt.
Der Roman ist fiktiv! Ich habe keine Leiche in der Tiefkühltruhe! Aber natürlich bin ich von mir aus gegangen. Er ist inspiriert von Begebenheiten aus meinem Leben, die ich mit Fantasie angereichert habe. Eine wichtige Inspiration war ein amerikanischer Schriftsteller, der auf Mykonos lebt. Ich habe mich mit ihm auf ein Bier getroffen. Etwas, das er mir damals gesagt hat, blieb mir in Erinnerung. Du kannst nicht entscheiden, was deine Charaktere machen, sie entscheiden selbst. Das trifft es genau. Wenn ich schreibe, passieren die Dinge einfach. Manchmal weiss ich selber nicht, woher eine Idee kommt.
Du hast dich für einen Krimi entschieden. Wieso?
Ich liebe Krimis und Thriller, als Buch und als Film. Das Genre bietet einem Autor viele Möglichkeiten für Spielereien. Ich wollte keinen düsteren Krimi schreiben, ich mag es, wenn sie humorvoll sind und auch etwas grotesk. Aber den Plot musste ich schon auch konkret überprüfen. Mit zwei Flipcharts habe ich aufgezeichnet, wie alles zusammenhängt und ob es aufgeht und nichts zu früh verraten wird.
Fast noch interessanter als die Krimihandlung fand ich die Entwicklung deines Romanhelden Ruwen. Eine interessante Person, denn er zeigt Widersprüchlichkeiten und hinterfragt sich. Zwar ist er verknallt, doch nervt er sich oft über seinen neuen Liebhaber. Ruwen ist eifersüchtig und doch ist er es, der fremdgeht. Infolge der Ermittlung zum Fall «El Presidente» wird der korrekte Schweizer zum Einbrecher und Betrüger, der auch mal eine falsche Identität annimmt. Zudem neigt er zu Selbstüberschätzung, Kurzschlusshandlungen und Paranoia. Natürlich möchte ich dir, Reto, nicht unterstellen, dass du all diese Charaktereigenschaften auch hast, und doch habe ich das Gefühl, er ist dir ähnlich. Wie viel von dir steckt in dieser Figur?
Ich gebe es zu, da ist schon viel von mir drin, grad was die Gefühle und Selbstreflektionen angeht. Doch ich bin nicht kriminell! Ich bestehe darauf, die Figur ist Fiktion.
Als Ruwen und sein zukünftiger Boyfriend die Leiche im Wohnzimmer entdecken, wäre ein Anruf bei der Polizei angebracht gewesen. Aber weil Julien eine Strafe auf Bewährung wegen Körperverletzung hat, will er lieber nichts mit der Polizei zu tun haben. Also lassen sie es sein. So nimmt das Unheil seinen Lauf. Hättest du auch so entschieden?
Diese Szene ist eine Metapher: Ruwen schaut «im Namen des Verliebtseins» weg. Das kenne ich schon auch, dass ich etwas mache, das weder vernünftig noch rational ist, nur aus Liebe. Nicht dass ich solche Entscheide bereut hätte, aber sie hatten Konsequenzen. Hätte Ruwen sich für den Anruf bei der Polizei entschieden, wäre der Roman schon zu Ende. So ist es auch im Leben. Scheinbar falsche oder eher fragwürdige Entscheide machen das Leben oft bunter und spannender, manchmal natürlich auch anstrengender.
Das kenne ich schon auch, dass ich etwas mache, das weder vernünftig noch rational ist, nur aus Liebe. Nicht dass ich solche Entscheide bereut hätte, aber sie hatten Konsequenzen.
Du hast deine Nebenfiguren besonders originell gestaltet. Sie tauchen im Buch auf wie Stars bei einem Gastauftritt in einem Fernsehkrimi.
Das gefällt mir besonders beim Schreiben eines humorvollen Krimis. Das Erfinden skurriler Figuren macht mir Spass. Diese sind oft Kombinationen aus verschieden Personen, denen ich begegnet bin.
Wie die esoterische «Hexe» auf Mykonos, die Ruwen Gurkenscheiben auf die Stirne klebt?
Das ist tatsächlich genau so passiert. Ich habe sogar ein Foto davon, wie drei Gurkenscheiben an meinem Gesicht kleben. Doch die Umstände waren ganz anders als im Buch.
Dass du die Orte kennst, die im Buch vorkommen, ist offensichtlich, denn sie werden genau beschrieben. Da gibt es teilweise exakte Wegbeschreibungen inklusive Strassennamen und Nummern. Natürlich habe ich auf Google Maps nachgeschaut, ob ich die Villa in Sitges finde.
Die gibt es tatsächlich und genau an dieser Strasse. Allerdings habe ich im Buch eine andere Hausnummer gewählt. Nicht dass es deswegen noch Probleme gibt. Aber interessant, dass du Sitges sagst. Denn im Buch habe ich den Namen der Stadt absichtlich nicht erwähnt. Ich mag es, wenn der Leser oder die Leserin selbst etwas rausfinden kann. So ist es auch bei den Bars und Clubs, die ich beschreibe. Die gibt es, aber im Buch heissen sie anders als in der Realität.
Diese Ortsbeschriebe bewirken beim Lesen, dass man sich ganz nahe am Geschehen fühlt, man mittendrin ist. Zudem hat dein Buch einen Soundtrack. Oft erwähnst du Songs, die grad im Radio laufen (eine inbrünstige Frauenstimme krächzte «Non sono una Signora»), ohne den Namen der Sängerin zu verraten. Es sind immer Italo-Hits aus den 80er-Jahren. Ist es auch dein persönlicher Geschmack?
Es ist Musik, die ich gern habe. Es hat mit der Selbstreflektion von Ruwen zu tun, über die wir sprachen. Diese ist eine persönliche Erfahrung von mir, und die wiederum ist stark verkoppelt mit italienischer Musik. Ich finde es schön, Musik im Buch zu haben. Der eine wird darüber hinweglesen, der andere erkennt den Song, und er löst etwas bei ihm aus. Wenn ich so etwas schreibe, stelle ich mir vor, dass es Leute gibt, die das kennen – genau wie du, und dieses Spiel macht mir Spass.
«Alles fliesst». Das Zitat von Heraklit ist auf deiner Homepage eresmas.ch zu lesen. Im Roman gibt es ebenfalls Zitate von Philosophen aus der Antike und einen philosophierenden griechischen Taxifahrer. Das scheint eine Leidenschaft von dir zu sein.
Ich habe Πάντα ῥεῖ sogar auf meine Brust tätowiert! Ja, das ist wichtig für mich. Am Gymer, als alle Englisch nahmen, wählte ich Altgriechisch. Frag mich nicht wieso, aber geprägt hat es mich. Immerhin lebe ich heute in Griechenland.
Alles fliesst bei Reto-Dumeng Suter. Deine Erlebnisse fliessen in das Buch ein, was du schreibst, liest sich flüssig. Da du schon im Fluss bist, wird es eine Fortsetzung geben?
Ja, ich bin bereits dran. Aber der Verlag und meine Freunde mahnten mich, nicht wieder 10 Jahr daran zu arbeiten. Zuerst ist noch eine Kurzgeschichte dran. Der Himmelstürmer Verlag bringt jedes Jahr die Kurzgeschichtensammlung «Pink Christmas» raus. Daran arbeite ich zurzeit. Natürlich würde ich mich freuen, wenn ich auch mal eine Lesung machen könnte. Vielleicht im Herbst, wenn ich wieder in der Schweiz bin.
Danke für das Interview. Ich wünsche dir viel Erfolg mit «Bei Philippi sehen wir uns wieder» und kann es an dieser Stelle herzlich weiterempfehlen. Der schwule Krimi ist eine vergnügliche und spannende Sommerlektüre. Ich freue mich schon auf die Fortsetzung.
«Bei Philippi sehen wir uns wieder»
Ein Mittelmeerkrimi von Reto-Dumeng Suter
ISBN: 978-3-86361-894-0
Kartonierter Einband, 230 Seiten
Herausgeber: Himmelstürmer Verlag
Veröffentlichung: 15.06.2021