Pornographie und Feminismus! Hä? Wie soll das gehen? Das Festival Schamlos! will die auf den ersten Blick gegensätzlichen Pole zusammenbringen und aufzeigen, dass es durchaus möglich ist, Pornographie feministisch zu gestalten. Es braucht dazu nur den richtigen Blickwinkel, einen queer-feministischen nämlich.
Die Festivalmacherinnen wollen ganz ohne Scham der queer-feministischen Pornographie Raum geben und damit die Vielzahl von Geschlechtsidentitäten, Körperlichkeiten und sexuellen Orientierungen sichtbar machen. Dabei will das Festival neue Formen von Lust, Begehren und Intimität erkunden und leben. Sie schreiben auf ihrer Homepage: «Wir wollen Pornographie, die zum Denken anregt und empowernd sein kann. Wir wollen ihr queeres, politisches und subversive Potential entdecken, uns zu Nutzen machen und uns als feministische Praxis aneignen. Wir wollen über Pornographie, Körper, Geschlecht(er), Sexualität(en) diskutieren, uns damit auseinandersetzen, diese Begriffe neu denken, vielfältiger denken und queer denken.»
Die Mainstream-Pornographie und -industrie lehnen die Festivalmacherinnen ab, denn diese folgt einer patriarchalen und kapitalistischen Logik. «Für uns ist Pornographie mehr als ein Mann und eine Frau, die miteinander Sex haben; mehr als die Körper, die wir als schön und normal vorgeschrieben bekommen. Für uns gibt es unzählige Geschlechter, die in unzähligen Körpern auf unzählige Weise miteinander Sex haben und Intimität austauschen können.» Schamlos! will einen geschützten Raum schaffen, in dem Normen gesprengt, Entdeckungen gemacht und Inspirationen gesammelt werden können. Ihr Programm umfasst Filme, Performances, Workshops, Diskussionen und Talks.
Filme
Das Festival startet am Donnerstag, 10. Juni mit dem Kurzfilmblock RITUAL im Kino der Reitschule. Bis am Sonntag werden auch die Kurzfilmblöcke CYBER und BEYOND gezeigt. In RITUAL richtet sich der Fokus auf die Sehnsucht nach Verbunden-sein. Zu sich selbst, zur Natur, zu einem Gegenüber oder zu Vielen gleichzeitig. Kann sein, dass du im vergangenen Jahr eine neue oder andere Beziehung zu deinen digitalen Geräten aufgebaut hast, dies auch um einige deiner Liebsten ganz nah bei dir zu spüren. CYBER gibt einen Einblick in die Momente der Gleichzeitigkeit. BEYOND zeigt Porno mal anders als du es vielleicht kennst und wirft Fragen auf: Wo fangen Sexualität_en an und wo hören sie auf? Wie magst du berührt werden? Gibts es Körperausscheidungen, die unerwünscht sind, und warum? Wie schützt du dich beim Oralsex?
Schamlos! schaut auch in die Zukunft und stellt am 11.06. um 20:30 Uhr im Frauenraum das Projekt «Die Interficktionale (Bumsen, Meutern, Streiken)» vor. Endlich! deutsche Geschichte als Queerer Porno! Kieler Matrosen im Aufstand, Berliner Arbeiterinnen im Streik – zwischen Riots und harten Ideologiediskussionen entspinnen sich neue Beziehungsweisen und ausufernde Sexualitäten, es wird gekuschelt, gefesselt, gevögelt. Denn die Lust kommt vom Umsturz und andersrum. Wem das nicht zu schamlos vorkommt, ist genau richtig zur Projektvorstellung und Lesung des Drehbuchs der «Interficktionale». Zusammen nehmen wir Kurs auf Richtung Leinwand.
Performances
Am Freitag und Samstag gibt es im Frauenraum der Reitschule ab 18 Uhr Performances zu sehen. In der Performance MAKITA ORIGIN generiert Angela Marzullo Modelle des Widerstands mit radikaler Sinnlichkeit. In der Heftmitte der Zeitung Le Monde macht sie einen chirurgischen Schnitt und schafft ein Netz von Schlitzen und Streifen, die den Informationsgehalt herauslösen. Ihre Technik ist die des Faltens. Sie faltet die Blätter in vier Teile, um eine zarte und bunte Form hervorzubringen, die an die Vulva erinnert.
Chienne de Garde macht multidisziplinäre Performances, die Text, Video, Installationen, Tanz und Musik von Drone Trap Afro enthält. Als sie angefragt wurde, ob sie am Festival auftreten will, um eine Performance zum Thema Pornographie und Queerness zu machen, wollte sie zuerst absagen, weil «ich diese zwei Themen, ehrlich gesagt, in meiner Arbeit vermeide». Nach reiflicher Überlegung hat sie dann doch zugesagt, da sie zu diesen Themen eben doch was zu sagen hat. «Als ich jünger war, machte ich alle Projektionen auf schwarze Körper mit und hielt nie inne, um mich zu fragen, ob diese Konstruktionen mit mir resonierten. Als ich mit 27 zum ersten Mal Zeit und Raum zum Nachdenken hatte, wurde mir klar, dass sie nicht von mir stammen, sondern ein Erbe von Kolonial- und Rassentheorien sind, die vor 400 Jahren eingeführt wurden. Diese Theorien wurden geschaffen, um die Unterdrückung von Menschen zu legitimieren, die vom Weisssein abwichen. Als ich mit dem Performen anfing, vermied ich es, mit meinem Körper zu arbeiten, um mich vor der Übersexualisierung, den positiven und negativen Stereotypen zu schützen. Diese Demarche hat nicht immer funktioniert. Heute halte ich wieder inne, um das Ergebnis zu betrachten und ja, Vermeidung allein ist nicht mehr die Antwort. Also lasst uns über Pornos und Queerness reden, lasst meine Stimme gehört werden!»
Nelson Irsapoullé alias Nelson el Exotico ist ein*e vielseitige*r Künstler*in und Musiker*in aus der experimentellen Genfer Untergrundszene, besser bekannt unter dem Name Fu*. «Le Jour où j’ai décidé d’être un GéniX» ist ein performatives Stück, das sich in einem virtuellen Universum abspielt, dessen Inszenierung an eine Pressekonferenz erinnert. Durch die Geschichte des selbsternannten GeniX bietet die Show eine Reise in 3 Zeiträume: die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. 50 Minuten lang enthüllt GeniX eine gemeinsame Geschichte mit einer starken emanzipatorischen Kraft.
Nach den drei Auftritten wird darüber geredet. Schamlos! lädt ein zum Artist Talk mit ihren drei Performer*innen Angela Marzullo, Chienne de Garde und Nelson Irsapoullé ein. Der Artist Talk wird von Ivy Monteiro moderiert.
Workshops
Die Festivalbesucher*innen können nicht nur auf Leinwände und Bühnen schauen, sondern auch selber mitmachen. Mira Roj gibt im Workshop «Kinky Gazing From A Sexy Distance» eine 4-stündige Einführung in die lustvollen Prinzipien von «kink» und «power play». Die pandemische Distanz ist nicht nur als Mangel zu verstehen, sondern als Möglichkeit, den Raum zwischen uns zu füllen, aufzuladen. Wie können wir uns trotzdem mit einander verbinden und stimulieren? Zwischen Spass, Leichtigkeit und Un/behagen werden wir versuchen, die gängigen Vorstellungen von Sexyness und BDSM aufzulösen und versuchen, uns gegenseitig auf eine Art und Weise zu beeinflussen und in Beziehung zu setzen, die sich gut, ermächtigend und sehr aufregend anfühlt.
Im Workshop «Fuck Sex» tauschen wir uns schamlos über alles Schamvolle, Unangenehme oder gar Unausstehliche über Sex aus. Allgemein tendieren viele in unserer Welt zur Dualität und beim Sex ist dies nicht anders. Entweder wird er tabuisiert oder glorifiziert. Feiern wir die Nuancen und werfen wir gemeinsam ein Scheinwerferlicht auf die bisher unbeleuchteten Stellen! Anonym teilst du deine persönlichen Fragen, Dilemmas und Anekdoten zum Thema Sex via Zettelchen. In der Gruppe tauschen wir uns darüber aus und suchen im Kollektiv nach neuen Denk- und Herangehensweisen. Es bleibt aber nicht nur auf der rationalen Ebene. Alle die wollen, experimentieren mit Übungen, in denen wir unseren Körpern und unsere Intuition zu Wort kommen lassen. Zuletzt bekommst du bei kleinen Rollenspielen die Chance, die Tools, welche dich ansprechen, gleich zu üben und zu verinnerlichen.
PORNO UND CORONA
Ein lustvolles Pornofestival und Corona, nicht unbedingt zwei Dinge, die gut zusammenpassen? Die Veranstalterinnen finden schon. Darum halten sie sich an die zum Zeitpunkt des Festivals geltenden Bestimmungen. Es muss mit einer eingeschränkter Besuchendenanzahl und Konsumationsverbot, sowie einer ständigen Maskenpflicht gerechnet werden. Ihr definitives Schutzkonzept findest du zu einem späteren Zeitpunkt auf www.schamlos.be, wo du auch das Programm und Anmeldemöglichkeiten findest.
Schamlos!
Queerfeministisches Pornographie-Festival Bern
10. – 13. Juni 2021
Programm und Infos: www.schamlos.be