Eurovision 2021 – Offen für den Sieg der Schweiz

Wird «Tout l’Univers» von Gjon’s Tears am 20. Mai ESC-Sieger?

«Open Up» ist das Motto des Eurovision Song Contest 2021. Tür und Tor stehen offen für einen Sieg der Schweiz mit dem Song «Tout l’Univers» von Gjon’s Tears. Doch wer könnte ihm die Tür versperren? Ludwig ist Eurovision-Fan und Pop-Kundiger seit 40 Jahren. Als Tolerdance-DJ und QueerUp-Radiomacher fällt er sein fundiertes – aber natürlich auch sehr subjektives – Urteil über die ESC-Songs 2021.

Nachdem letztes Jahr der Eurovision Song Contest wegen der Pandemie abgesagt werden musste, findet er in diesem Jahr definitiv statt. Zwar darf die Eventhalle «Ahoy» in Rotterdam nur zur Hälfte – mit ausschliesslich einheimischem Publikum – gefüllt werden und auch das ganze Brimborium um den ESC wird eingeschränkt. Es ist halt immer noch Pandemie. Aber was soll’s! Viele TV-Shows haben inzwischen bewiesen, dass man auch mit Applaus vom Band Stimmung erzeugen kann. Für einen Eurovision-Fan zählt eh’ nur, dass er endlich wieder wählen darf. Ein Jahr ohne Siegersong wie 2020 soll es nie mehr geben. Wird es diesmal vielleicht sogar die Schweiz auf Platz 1 schaffen? Wird das «32-Jahre-Wunder»* passieren, heisst, dass die Schweiz alle 32 Jahre gewinnt? Die Schweiz gewann nämlich 1956 und 1988 bereits mit einem französischen Lied den Wettbewerb. Und wenn wir 2021 – lässt man das zu vergessende letzte Jahr aus – 32 Jahr später, wieder mit einem französischen Song antreten, wäre es also Zeit für den dritten Sieg Helvetiens.

Dritter Sieg für die Schweiz?

Die Chancen auf Siegen standen für die Schweiz schon lange nicht mehr so gut wie in diesem Jahr. Tatsächlich könnte Gjon’s Tears mit «Tout l’Univers» den begehrten Preis nach Hause holen. Gibt es Parallelen zu 1988, als Celine Dion mit «Ne partez pas sans moi» den Titel für die Schweiz zum letzten Mal holte? Damals gewann die Kanadierin nicht wegen der Komposition von Nella Martinetti und Atilla Şereftuğ – der Song ist nüchtern betrachtet nicht so toll. Ganz bestimmt gewann sie nicht wegen dem grässlichen Fummel und der tragisch misslungen Frisur. Es war ganz alleine die grossartige Stimme von Celine Dion, die sie auf das Siegerpodest hob, und die ihr Jahre später auch zur Weltkarriere verhalf. Bei Gjon Muharremaj aus Broc in Fribourg ist es auch die Stimme, die alles überstrahlt. Er haut Töne raus, die sogar bei einem abgebrühten Musikkonsumenten wie mir Hühnerhaut erzeugen. Der Song ist besser komponiert als Celines und hoffen wir, dass Gjon ein paar anständige Klamotten für seinen Auftritt verpasst bekommt. Sein süsser Lockenkopf und seine bescheidene Art sind weitere Pluspunkt. Zudem hat Gjon schon Erfahrungen gesammelt mit Fernsehshows. Seit seiner Kindheit hat er bei einigen Castingshows mitgemacht. Allerdings nie gewonnen. Gegen einen Sieg von «Tout l’Univers» spricht, dass er ähnlich klingt wie der letzte Siegersong «Arcade» von Duncan Laurence und die starke Konkurrenz im Jahr 2021.

 

Die Konkurrenz der Schweiz

Als Gjons Song «Tout l’Univers» veröffentlicht wurde, landete er in den Wettbüros gleich auf dem 1. Platz, dass heisst, die meisten setzten auf den Sieg der Schweiz. Inzwischen ist er dort auf Platz 3. Vergleicht man die Wettstatistik mit den verschiedenen Fan-Polls, sehen die Resultate ziemlich ähnlich aus. Gjon zählt überall zu den Favoriten. Zu diesen gehören ebenfalls Frankreich (Barbara Pravi, «Voilà»), Malta (Destiny, «Je Me Casse»), Cypern (Elena Tsagrinou, «El Diablo»), Italien (Måneskin, «Zitti E Buoni») und Litauen (The Roop «Discotheque»). Gute Chancen eingeräumt werden auch San Marino (Senhit, «Adrenalina»), Schweden (Tusse, «Voices»), Bulgarien (Victoria «Growing Up Is Getting Old») und Aserbaidschan (Efendi «Mata Hari»).

Aber hören wir bei den Songs, die uns den Sieg streitig machen könnten, etwas genauer hin. Frankreich und Italien gehen sehr gegensätzliche Wege. Frankreich schickt ein traditionelles Chanson an den Wettbewerb, das von Barbara Pravi «formidable» vorgetragen wird. Pravi erinnert an Zaz, aber auch an Klassiker wie Barbara und Jacques Brel. Frankreich bedient also die Erwartungen des Publikums. Italien unterläuft diese. Statt einem Gassenhauer, der fröhliche oder dramatische Italianità zelebriert, hauen die Italiener uns deftigen Rock um die Ohren. Die Sanremo-Gewinner Måneskin fallen im Wettbewerb aus dem Rahmen. Es ist immer eine gute Idee am ESC aus dem poppigen Einerlei herauszustechen. Der Glamrock-Song «Zitti E Buoni» wird viele Stimmen auf sich ziehen können. Bestimmt mehr als der andere Rock-Song im Wettbewerb «Dark Side» von Blind Channel aus Finnland.

Das Publikum liebt Underdogs. So einer ist Malta. Der Inselstaat im Mittelmeer hat den ESC noch nie gewonnen und er ist bereit, es dieses Jahr endlich zu schaffen. Mit Destiny haben sie die richtige Interpretin gefunden. Sie hat 2015 bereits den Junior-ESC gewonnen, kam bei Britains’ Got Talent 2017 ins Halbfinale und gewann 2020 X Factor Malta. Eins ist klar: «This girl can sing!». Und wohin geht man, um den perfekten Popsong zu finden? Nach Schweden! Ein Songwriter-Team hat ihr einen catchy Song auf den üppigen Leib geschrieben mit Elektro-Swing-Elementen und einem Text über «female empowerment». Doch wird «Je Me Casse» tatsächlich der Siegersong 2021 sein? Irgendwie wirkt alles doch ein weinig zu konstruiert. Wie vor zwei Jahren bei Luca Hänni scheint alles genau berechnet worden zu sein. Meine Vermutung deshalb, Destiny wird es wie Luca auf den 4. Platz schaffen.

So ein Konstrukt ist auch «Mata Hari» von Efendi, der Song aus Aserbaidschan. Im abgesagten Wettbewerb 2020 wollte Efendi mit dem Song «Cleopatra» auftreten. Es scheint, als hätte das niederländische Songwriter-Team den alten Song einfach etwas umgestellt und verschlimmbessert. Douze Points nennt es «eine seelenlose Aneinanderreihung von kompositorischen ESC-Erfolgskomponenten». Da stimme ich ihnen zu. Vermutlich wird Efendi versuchen, den seelenlosen Song mit einem körperbetonten Auftritt aufzuwerten.

Zypern hofft, dass sie den 2. Platz von 2018 mit «Fuego» von Eleni Foureira endlich toppen können. Wie Malta hat auch dieser Inselstaat nämlich noch nie gewonnen. Deshalb senden sie wieder einen Song mit spanischem Titel und eine TV-erprobte Sängerin an den ESC. Geschrieben wurde «El Diablo» von einem erfahrenen ESC-Songwriter-Team. Im Team dabei war die Schwester von Bastian, Laurell Baker, die auch schon bei Lucas «She Got Me» mitschrieb, und Jimmy «Joker» Thornfeldt, der in diesem Jahr zusätzlich mit den Songs «Voices» von Tusse und «Adrenalina» von Senhit im Wettbewerb vertreten ist. «El Diablo» von Elena Tsagrinou klingt nach Hit, allerdings wie einem, den es schon gab. Ziemlich schamlos wurde bei Lady Gaga abgekupfert. Ich glaube nicht, dass die Zyprioten den Erfolg von «Fuego» wiederholen können, aber ich freue mich schon darauf, an einer Party dazu wie der Teufel zu tanzen!

Wird 2021 das Jahr der Kleinstaaten? Auch San Marino, die Mini-Republik mitten in Italien, hat die richtigen Zutaten gefunden für ein 5-Sterne-ESC-Menu. Bisher fiel San Marino nicht gerade auf durch eine geschmackssichere Auswahl ihrer Songs. Doch mit Senhit haben sie eine ganz schön coole Sängerin am Start. Schon ihr letztjähriger Song «Freaky!» war ein heimlicher Favorit von mir. «Adrenalina» ist genau so gut. Ein Song, der gute Laune macht, mitreisst und etwas «over the top» ist. Zehn (!) Leute, die meisten aus Schweden, haben am Song rumgetüftelt. Zu viele Köche verderben den Brei, heisst es, hier trifft das nicht zu. Sie haben «Adrenalina» à point gegart und zum Abschmecken noch den US-Rapper Flo Rida in den Topf geworfen. Innovativ ist «Adrenalina» nicht, aber von all den Dancefloor-orientierten Songs am Wettbewerb der originellste. Oder doch nicht? Es gibt da einen, der noch besser ist.

«Discoteque» von The Roop aus Litauen ist einen Tick besser als «Adrenalina», weil innovativer. Hätte der ESC letztes Jahr nicht abgesagt werden müssen, hätte höchstwahrscheinlich The Roop mit «On Fire» gewonnen. Es war also für die drei Männer aus Litauen nicht einfach, das zu übertreffen. Sie wurden auch nicht, wie viele andere Interpret*innen, automatisch für das Folgejahr verpflichtet, sondern mussten sich erneut einer Vorentscheidung stellen. Die haben sie mit Bravur gewonnen. Passend zur Pandemie ist «Discoteque» etwas düsterer geworden als «On Fire». So singen sie «Let’s discoteque right at my home. It is ok to dance alone.». Der Song besticht nicht nur mit dem Indie-Disco-Sound und der witzigen Choreografie, sondern auch mit seinem charismatischen und – wie ich finde – äusserst sexy Sänger mit dem unaussprechlichen Namen Vaidotas Valiukevičius. Ein Platz auf dem Podest ist nur logisch.

Kampf der Choreograf*innen

Es ist die augenfällige Choreografie von The Roop, die (vermutlich) zum Sieg von Litauen in diesem Jahr führen wird. Der ESC ist nämlich nicht nur ein Songwettbewerb, immer mehr wird er auch zur Choreography-Competition. Spätestens seit dem Auftritt von Bucks Fizz 1981, als sie mit dem Song «Make Your Mind Up» und einer ausgefeilten Tanzroutine, inklusive einem Kleiderwechsel vom Maxi- zum Mini-Rock, den Sieg holten, ist ein origineller Tanz zu einem Muss am ESC geworden. Immer noch erinnert man sich an Auftritte dank der Choreo. Beispielsweise 2003 Sertabs orientalischer Haremstanz zu «Everyway That I Can», 2012 der gespenstische Ausdruckstanz von Loreen zu «Euphoria», 2018 der feurige Hair-Swing zu «Fuego» von Eleni Foureira und natürlich der atemraubende, maskuline und supersexy Hüftschüttler von Sakis zu «Shake It» 2004.

In diesem Jahr sind wieder viele Songs dabei, die ihre Karte ganz auf Choreo, Outfit und Staging setzten müssen, weil die Komposition nicht ganz hinhaut. Solche sind «Tick Tock» (Kroatien), «Last Dance» (Griechenland), «Loco Loco» (Serbien), «Technicolour» (Australien), «Set Me Free» (Israel) und noch einige mehr. Doch es gibt eine Gruppe, die Choreographie ganz neu interpretiert – dilettantisch und witzig. Es ist die Nerd-Clique um Daði Freyr aus Island. Sie wirken wie die IT-Abteilung einer Bank in Reykjavik, die für das Betriebsfest einen Song einstudierte hat. Das kommt sympathisch rüber. Im witzigen Video zum Song «10 Years» müssen Daði Freyr und seine Freunde Island mit ihren «sweet dance moves» von einem Monster befreien. Es ist das einzige Video im ganzen Wettbewerb, das sich lohnt anzuschauen.

Daði & Gagnamagnið galten schon letztes Jahr als heimliche Favoriten, und ich bin überzeugt, dass sie auch dieses Jahr überraschen werden und besser abschneiden als von vielen prophezeit.

Testosteron-Balladen und Östrogen-Power-Pop

2021 setzen die meisten Länder auf Dance- und Power-Pop, weil sie die triste Pandemie-Zeit mit positiven Vibes vergessen machen wollen. Balladen sind nur ganz wenige vertreten. Der sonst so gängige Auftritt einer schönen Frau in langem Kleid, die ein dramatisches Lied vorträgt, wird man heuer tatsächlich nur einmal ertragen müssen. Diese drei Minuten gehören Ana Soklič aus Slovenien und ihrem Song «Amen». Die meisten Frauen machen in ihren Liedern «Woman Empowerment» zum Thema. Besonders gelungen ist das Samanta Tina aus Lettland mit «The Moon Is Rising», wo man im Video sogar küssenden Frauen sieht! Wenn die Frauen ihr Östrogen auf der Bühne versprühen, dürfen die Männer auch ihr Testosteron zeigen. Einigen gelingt das gut, wie Blas Cantó aus Spanien mit seiner Ballade «Voy A Quedarme», die ähnlich, aber nicht so gut ist wie Gjon’s Tears «Tout l’Univers». James Newman aus Großbritannien, der jüngere Bruder des Popstar John Newman kommt mit einem Dancetrack, der nicht ganz zu ihm zu passen scheint und der hübsche Uku Suviste aus Estland gibt alles, aber leider ist das nicht genug. Bei anderen scheint das Testosteron eher Leid auszulösen. Tornike Kipiani aus Georgien singt eine lahme Ballade, und was die Männergruppe «The Black Mamba» aus Portugal will, ist schwer abzuschätzen. Die Mamba hat weder Biss noch schleicht sich der Song in die Gehörgänge. Beide sind Kandidaten für die hintersten Plätze.

 

Queer ESC

Neu können die Teilnehmenden am ESC auf der offiziellen Homepage eurovision.tv auch angeben, mit welchem Pronomen sie angesprochen werden wollen. Allerding schert dieses Jahr keiner aus dem traditionellen Er/Sie-Schema aus. Schön ist trotzdem, dass es inzwischen eine Selbstverständlichkeit ist, dass sich queere Menschen am Wettbewerb offen zeigen können. Die meisten zumindest. Obwohl für jeden offensichtlich, dass Vasil Garvanliev aus Nord Mazedonien schwul ist, gibt es von ihm kein Statement dazu. Was vermutlich an seinem Heimatland liegt, wo derartiges nicht gerne gehört wird. Ganz offen mit dem Thema gehen Lesley Roy aus Irland, Montaigne aus Australien und Jeangu Macrooy aus den Niederlanden damit um. Leider gehören ihre Songs (zu recht) nicht zu den Favoriten. Enttäuschend ist hingegen, dass der Beitrag aus Deutschland, Jendriks Song «I Don’t Feel Hate» so schlecht bei den Fans ankommt. Der sympathische und quirlige Schwule, der mit seinem Freund in Hamburg lebt, hat ein pfiffiges Lied gegen Hass und Ausgrenzung geschrieben. Zudem bespielt Jendrik die sozialen Plattformen bravurös und geistreich. Seine kurzen Videos auf Instagram, in denen er erzählt, wie er sich den ESC-Verantwortlichen in Deutschland regelrecht aufgedrängt hat, und es ihm auch tatsächlich gelungen ist, als ihr Vertreter gewählt zu werden, sind sehenswert und amüsant.

Vom Flüchtlingskind zum ESC-Gewinner?

Mit einer besonderen Geschichte im Gepäck geht Tusse für Schweden nach Rotterdam. Der 2002 als Tousin Michael Chiza Geborene verlor mit 5 Jahren im Bürgerkrieg im Kongo seine Eltern aus den Augen und er floh mit seiner Tante aus dem Land. Zuerst landete er in einem Flüchtlingscamp in Uganda, bis ihm Schweden Asyl gewährte. Dort verbrachte er die ersten drei Jahre in einem Flüchtlingsheim. Eine schwedische Familie nahm ihn dann bei sich auf und Tusse hatte endlich ein Zuhause gefunden. Seine leiblichen Eltern hat er übrigens inzwischen ausfindig gemacht. Was er aus seiner Heimat mitnahm, war die Liebe zum Singen. Er machte 2018 bei der schwedischen Version der TV-Show «Got Talent» mit, wo er ihm Halbfinale ausschied, um ein Jahr später dann die Talentshow «Idol» zu gewinnen. Und jetzt, noch keine 20, hat er die populäre ESC-Vorentscheidungsshow Melodifestivalen, kurz Mello, gewonnen, und sogar ziemlich deutlich. Sein Song «Voices» ist typisches schwedisches ESC-Material, deshalb auch etwas vorhersehbar. Für Tusse ist das Lied eine Hymne für einsame Kinder, das Hoffnung geben soll. Tusse punktet mit seiner Geschichte und seiner queeren Persönlichkeit. Schon als Kind liebte er es, seine Nägel zu lackieren, bewunderte Conchita Wurst und hat selbst die Gendergrenzen immer wieder überschritten. Doch ein Label anhängen will er sich nicht. «Für mich steht Persönlichkeit immer vor Geschlecht», sagte er in einem Interview mit dem schwedischen LGBT-Magazin QX. «Es ist eine Freiheit, dass jeder sein kann, wer er ist, und so gesehen werden soll. So möchte auch ich gesehen werden. Ich bin einfach Tusse.» Auf die Frage, wie er die Konkurrenz am ESC beurteile, antwortetet er: «Es ist ein hoher Standard in diesem Jahr, und die Schweiz ist auf jeden Fall ‹diejenige, die es zu schlagen gilt›».

Ist das ernst gemeint?

Lästern gehört am ESC dazu. Gemeinsam mit Freunden vor der Glotz über geschmacklose Kleider, fürchterliche Songs und peinliche Auftritte zu schimpfen, macht Spass. Dazu werden wir auch in diesem Jahr einige Gelegenheiten bekommen. Der Norweger TIX inszeniert sich als gefallener Engel und ist sich nicht zu schade, weisse Flügel auf der Bühne zu tragen! Dazu noch einen weissen Mantel aus billigem Federimitat, ein Stirnband mit seinem Namen drauf, und er ist behängt mit goldenen Ketten, die ihn am Boden halten. Es ist einfach nur lächerlich! Dafür wird er in der ESC-Hölle landen. Von dort kommen die beiden Dänen. Ihr Song klingt, als wäre er schon am ESC 1990 dabei gewesen – und hat damals nicht gewonnen, weil zu schlecht. In den 90ern war der ESC so mies, dass ihm gar das Aus drohte. Wieso also die beiden Herren ausgerechnet auf diese Zeit zurückgreifen, die man getrost vergessen kann, bleibt ein Rätsel. Ist es ironisch gemeint? Vermutlich. Trotzdem, lustig ist es nicht. Auch gar nicht lustig sind diese tanzenden und singenden Püppchen. Länder, die glauben, mit knapp bekleideten Frauen, die einen auf sexy machen, könne man heute noch punkten, sind auf dem Holzweg. Sie sind «Loco Loco», wie das serbische Frauentrio Hurricane singt, oder verursachen einen Zuckerschock wie «Sugar» von Natalia Gordienko aus Moladvien.

Meine Lieblinge

All die Songs, die ich bisher nicht erwähnt habe, verdienen es nicht, erwähnt zu werden. Zu langweilig. Drei Songs aber verdienen eine Erwähnung, weil sie mir ans Herz gewachsen sind. Leider haben sie nur geringe Chancen auf einen Sieg.

«The Wrong Place» von Hooverphonic aus Belgien ist mein persönlicher Liebling. Schon ihr letztjähriger Song war klasse, und diesmal ist er noch besser. Die beiden Hooverphonic Gründer Alex Callier und Raymond Geerts, die schon seit 25 Jahren zusammenarbeiten, haben immer wieder neue Sängerinnen. Sang 2020 noch die junge Voice-Gewinnerin Luka Cruysberghs, haben sie in diesem Jahr auf ihre «alte» Sängerin Geike Arnaert zurückgegriffen. Hooverphonic machen anspruchsvolle Musik für Erwachsene, was von der Masse meistens nicht besonders geschätzt wird. Ich hoffe es werden genügend Erwachsene mit Geschmack für sie anrufen, denn sie haben den Einzug ins Finale verdient.

Victoria ist so was wie die Billie Eilish aus Bulgarien. Letztes Jahr zählte sie mit ihrem Song «Tears Getting Sober» zu den Favoriten. Ihr neuer Song «Growing Up Is Getting Old» ist zwar nicht ganz so gut, aber immer noch besser als die meisten anderen im Wettbewerb. Sie bringt gepflegte Melancholie nach Rotterdam und Victoria scheint ein vielversprechendes Talent zu sein, das es über den ESC hinaus schaffen könnte.

Ganz anders ist die Band Go_A aus der Ukraine. Sie vermischen traditionelle Folklore mit Elektro, und das schon seit 2012. Go_A sind also nicht bloss ein ESC-Produkt, sondern gestandene Musiker*innen, die wissen was sie tun. Ihr Werk ist eigen, künstlerisch und kontrovers. I like it! Ihr Video zum Song «Shum» wirkt apokalyptisch, und ist wohl der kriegerischen Gegenwart in ihrer Heimat zu verdanken. Ähnliches hat man am ESC zwar schon gehört, jedoch begeistert es mich immer wieder wenn Tradition mit Moderne vermischt wird.

Ich finde ja schon lange, die Schweiz sollte es am ESC mal mit einem modernen Jodel versuchen. Falls wir in diesem Jahr gewinnen – und das ist für einmal nicht bloss eine aussichtslose Träumerei – wäre so ein Jodel-Elektro-Mix das Aussichtsreichste, um einen zweiten Sieg in Folge zu verhindern. Wenn es nach dem «32-Jahre Wunder» geht, ist der nämlich erst wieder für 2053 vorgesehen. Ich drücke jedenfalls Gjon’s Tears die Daumen, dass er am Samstag 20. Mai in Rotterdam für die Schweiz gewinnt, denn ich will nicht nochmals 32 Jahre warten.


First Semi-Final

Dienstag, 18 Mai, 2021, 21 Uhr

 
Second Semi-Final

Donnerstag, 20 Mai, 2021, 21:00
Mit der Schweiz

 
Grand Final

Samstag, 22 Mai, 2021, 21:00

 

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