Annemarie Schwarzen­bachs Fotografien

Die 1930er-Jahre aus Sicht einer lesbischen Frau

Annemarie Schwarzenbach ist eine der schillerndsten Figuren der modernen Schweizer Kulturgeschichte. Sie war Schriftstellerin, Journalistin, Fotografin und Reisende. In den 30er-Jahren, als der Nationalsozialismus in Deutschland aufkam, der auch in der Schweiz seine Anhänger fand, stellte Schwarzenbach sich gegen den Faschismus, stand offen zu ihrer Homosexualität und wehrte sich gegen das geschlechtsspezifische Doktrin. Jetzt widmet das Zentrum Paul Klee dem fotografischen Werk von Annemarie Schwarzenbach eine Ausstellung unter dem Titel «Aufbruch ohne Ziel». Doch wer ist diese lesbische Frau, die vor 78 Jahren viel zu jung gestorben ist?

Annemarie Schwarzenbach, 1931

Annemarie Schwarzenbach kam 1908 mit dem silbernen Löffel im Mund zu Welt. Sie stammt aus einer reichen Zürcher Industriellenfamilie die es ihr ermöglichte Geschichte zu studieren, in Zürich und in Paris. Doch ihrer konservativen Familie, die mit dem aufkommenden Nationalsozialismus sympathisierte, gefiel der Lebensstil ihrer Tochter gar nicht. Annemarie verkehrte lieber mit den Enfants Terribles der deutschen Literatur, Klaus und Erika Mann, und mit jüdischen Emigranten, die damals vor den Faschisten in der Schweiz Zuflucht suchten. Annemarie zog sich nicht an, wie dass Frauen damals sollten, sondern bevorzuge Männerklamotten. In der Sachen Liebe aber stand sie auf Frauen. Auch ihr Drogenkonsum und ihr ständiges herumreisen, ist der Familie missfallen. Als sie 1935 einen Mann heiratete, wurde das Verhältnis zu ihrer Familie nicht besser, denn sie nahm sich einen schwulen Diplomaten zum Mann. Mit ihm reiste sie in den Iran. Doch eine Krankheit und ihre Drogensucht zwangen sie zur Rückkehr in die Schweiz.

1939 widerholte sie das Abenteuer Orient mit ihrer Freundin, der Schweizer Schriftstellerin Ella Maillart. Mit dem Auto fuhren sie über Istanbul und Teheran nach Afghanistan. Die Reise war überschattet von den Drogenproblemen Schwarzenbachs und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. In Kabul trennen sich die Wege der beiden Frauen. Danach zog sie in die USA, wo sie in New York ihre Freunde Klaus und Erika wieder traf. Dort lernte sie die Schriftstellerin Carson McCullers kenne. Diese verliebte sich in die Schweizerin, doch ihre Gefühle blieben unerwidert. Trotzdem blieb Annemarie Schwarzenbach zwei Jahre in den USA. Wegen ihrer Morphiumsucht und ihre schwere Depression musste sie dort mehrfach in psychiatrische Behandlung. Ihr Ehemann holte sie im Sommer 1942 zurück in die Schweiz. Im Herbst desselben Jahres stürzte sie im Engadin mit dem Fahrrad und zog sich so schwere Kopfverletzungen zu, dass sie am 15. November im Alter von nur 34 Jahren an deren Folgen starb. starb.

«Aufbruch ohne Ziel»

Trotz Drogensucht, Depressionen, Selbstmordversuchen und ihrem unsteten Lebenswandel, war Annemarie Schwarzenbach sehr produktiv. Sie schrieb Bücher und Reportage und hatte ihren Fotoapparat immer dabei. Unter dem Titel «Aufbruch ohne Ziel» widmet das Zentrum Paul Klee ihr nun erstmals eine Ausstellung, die sich ausschliesslich mit ihrem fotografischen Werk befasst. 7000 Fotografien sind in ihrem Nachlass zu finden, die auf ihren Reisen durch Europa, Asien, Afrika und Amerika entstanden sind. Der Kurator der Ausstellung, Martin Waldmeier sagt dazu: «Annemarie Schwarzenbach war gleich mehrfach talentiert – als Schriftstellerin, Journalistin und Fotografin. Gerade die Gegenüberstellung von Text und Bild zeigt Schwarzenbachs präzise Beobachtungsgabe im Blick auf die konfliktreiche Zeit der 1930er-Jahre». Im Ausstellungskatalog steht: Trotz ihres jahrelangen Kampfes gegen die Drogenabhängigkeit professionalisierte sie sich im Laufe der 1930er-Jahre als Reise- und Feuilletonjournalistin und richtete dabei auf gemeinsamen Reisen mit Schriftstellerinnen und Fotografinnen wie Ella Maillart, Marianne Breslauer oder Erika Mann ihr Augenmerk auf gesellschaftliche und politische Themen, darunter den Aufstieg des Nationalsozialismus, die Arbeiterbewegung in den USA, die Folgen der Modernisierung oder die Rolle der Frauen in der Gesellschaft. Aber auch private Themen wie Heimatlosigkeit, Leben im Exil, Homosexualität oder das Ausbrechen aus klassischen Geschlechterrollen spiegeln sich in den Bildern. Und nicht zuletzt zeigen sie Schwarzenbachs ungebrochene Leidenschaft für das Reisen selbst – und ihre Suche nach der Begegnung mit dem Unbekannten, dem «Aufbruch ohne Ziel» als existentielle Erfahrung.

Annemarie Schwarzenbach, Zwischen Isfahan und Schiraz, Iran, 1935, Schweizerisches Literaturarchiv, Schweizerische Nationalbibliothek, Nachlass Annemarie Schwarzenbach

«Im Sinne der spartenübergreifenden Ausrichtung des Zentrum Paul Klee ist es reizvoll, Schwarzenbachs Ausdrucksformen als Schriftstellerin, Fotografin und Journalistin zueinander in Bezug zu setzen. Gleichzeitig adressiert ihr Werk virulente Themen wie das Verhältnis der Schweiz zur Welt, sexuelle Identität, globale Moderne, oder die Gleichzeitigkeit von gesellschaftlichem Fortschritt und Rückwärtsbewegung, die noch heute aktuell sind.»

Nina Zimmer, Direktorin Kunstmuseum Bern – Zentrum Paul Klee

 

Aufbruch ohne Ziel

Annemarie Schwarzenbach als Fotografin

Bis 9. Mai im Zentrum Paul Klee

 

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