Liebesroman mit Manie gewürzt

Sofagespräch mit Daniela Schenk

Die Bernerin Daniela Schenk ist mehr als eine frauenliebende Liebesroman-Autorin. In ihrem neuen Buch «Mein Herz ist wie das Meer» schreibt sie über die Bipolarität, eine komplizierte Liebe, Frauenkunst und noch so vieles mehr. Der bern.lgbt-Autor Ludwig Zeller hat Daniela Schenk zum Sofagespräch getroffen.

Von Daniela Schenk habe ich schon ein paar Bücher gelesen und mich dabei immer bestens unterhalten – auch als schwuler Mann kann man einen Lesben-Liebesroman toll finden! Besonders wenn sie so cool sind, wie die von Daniela. Als sie mir nach fast drei Jahren Funkstille ein Mail schrieb, sie habe einen neuen Roman herausgebracht, und ob ich auf bern.lgbt darüber etwas schreiben wolle, war das Buch sofort gekauft und bald gelesen. «Mein Herz ist wie das Meer» ist bereits der achte Roman der Berner Schriftstellerin. Die Geschichte von Amelie und Zazou beginnt mit einer schicksalhaften Begegnung im Zug.


Morgens, wenn frau im Zug zur Arbeit einfach in Ruhe die Landschaft an sich vorbeiziehen lassen will, kann eine redefreudige Mitreisende nerven. Die Lehrerin Zazou war zuerst nicht begeistert, als Amelie sie ansprach und während der 25-minütigen Zugfahrt auf sie einredete. Doch Zazou ist nicht auf den Mund gefallen und kann den Sprüchen von Amelie Paroli bieten. Dieses Ritual wiederholt sich täglich und Zazou verliebt sich in die freche Amelie, die partout nichts über sich verraten will. Als sie eines Tages nicht mehr auftaucht, wird Zazou aus der Bahn geworfen und kommt ins Grübeln. Wer ist diese Frau? Was hat sie für ein Geheimnis? Was will sie von mir? Ist sie lesbisch? Und wieso taucht sie nicht mehr auf?

In Zazous Leben läuft es eigentlich rund: Beziehung, Job, Freunde, Familie, alles ganz OK. Doch Amelie geht ihr nicht mehr aus dem Sinn. Sie will sie wiedersehen und mit detektivischem Spürsinn beginnt sie anhand der wenigen Informationen, die sie Amelie entlocken konnte, nach ihr zu suchen. Doch bis sie hinter das Geheimnis von Amelie kommt, dauert es eine halbe Ewigkeit. Und der Weg dorthin hält viele überraschende Wendungen bereit. Denn Amelies Herz ist wie das Meer, mal wild, mal ruhig, ewige Ebbe und Flut. Amelie ist bipolar, das heisst, sie schwankt zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt. In ihren manischen Hochphasen malt sie wie besessen und schafft grossartige Kunst. In ihren depressiven Phasen geht nichts mehr. Und Liebe schon gar nicht. Amelies fester Vorsatz, sich von der Liebe fernzuhalten, gerät jedoch wegen der zauberhaften Zazou ins Wanken.


Ludwig und Daniela

Ich sitze im Zug. Fahre zu Daniela Schenk, um mich mit ihr zu unterhalten. In meiner Tasche feine Schoggi-Mousse-Schnitten (vom Eichenberger) und im Kopf viele Fragen. Ich habe Danielas Roman «Mein Herz ist wie das Meer» über die Festtage gelesen. Wie bei denen davor habe ich mich vorzüglich unterhalten gefühlt, habe vieles gelernt, habe gestaunt, mitgefiebert und gelacht. Nun will ich mehr über die Autorin erfahren. Ist sie genau so witzig wie ihre Romane? Ob sie auf dieser Zugfahrt die Idee zum Anfang des Romans hatte? Ich jedenfalls hatte keine schicksalhafte Begegnung während der Fahrt. Sie dauerte auch nur fünf Minuten. Zu kurz für die Schicksalsgöttin.

Bei Danielas Zuhause angekommen überreiche ich die Süssigkeiten und sie setzt Kaffee auf. Wir machen es uns auf dem Sofa im Wohnzimmer bequem. Also, Daniela, kam dir die Idee zum Buch auf der Zugfahrt, die ich gerade hinter mir habe? «Nein, die Ideen kommen mir immer irgendwo und irgendwann.»

«Vieles passiert beim Schreiben»

Daniela hat ihren neuen Roman aus zwei Perspektiven geschrieben. Einmal spricht die lakonische Zazou, die aus der Bahn geworfen wird, und einmal die bipolare Amelie, die auf zwei Gleisen fährt. Ich wollte von Daniela wissen, ob ihr, wenn sie sich an den Computer setzte, immer klar war: heute bin ich in Zazou-Stimmung oder jetzt ist Amelie-Time. «Eigentlich nicht. Ich schreibe meine Geschichten chronologisch, weil ich nicht gut vorausdenken kann. Meistens fange ich an ohne zu wissen, wohin es mich führen wird. Ich korrigiere dann rückwärts, schaue später, ob alles zusammenpasst, streiche, tausche und ergänze. Aber eine ‹Konstruktösin› bin ich nicht. Viel passiert beim Schreiben.»

Natürlich will ich wissen, wie viel von ihr in den Figuren drin steckt. «Das wollen die Leute immer wissen!» antwortet Daniela. «Ich schreibe keine biografischen Romane, auch nicht aus therapeutischen Gründen, sondern weil es mich unterhält.» Und die Leser*innen auch, werfe ich ein. «Maria Vargas Llora sagte in seinem Buch ‹Wie man Romane schreibt›, alles sei biografisch, weil man nur darüber schreiben könne, was man erlebt, gesehen, gehört oder gelesen habe», relativiert Daniela. «Der Punkt ist, wie man diese Erfahrungen mischt. Ich gestalte meine Figuren nie nach realen Vorbildern. Obwohl, einmal doch. Da nahm ich eine Seite meiner Mutter zum Vorbild. Das fand sie gar nicht lustig!»

Als Berner erkennt man in Danielas Büchern die eigene Stadt, obwohl sie den Namen (meistens) nicht erwähnt. Sei es, wenn sie den Anblick der Alpen beim Einfahren des Zugs in den Bahnhof beschreibt oder die Altstadtgassen. Andere Handlungsorte im Buch sind Sizilien, Australien und Acapulco. Konnte sie sich vor Ort inspirieren lassen? «Ja, ich habe dort recherchiert — mit Tante Google!»

Besonders amüsant fand ich die Szene, als die manische Amelie das Restaurant im Bellevue Palace aufmischt und Zazou vor Verlegenheit am liebsten in den Boden versunken wäre. Ich stellte mir vor, wie Daniela tatsächlich in das Luxushotel geht, um das Personal dort herauszufordern, zwecks Recherche. «Nein, das könnte ich nie und nimmer! Dazu müsste ich wirklich manisch sein. Aber cool wäre es schon, wenn man mal so auftreten könnte, als wäre es einem völlig egal, was andere denken.»

Wie ist es mit dem bildhaften Szenen in deinen Romanen, siehst du etwas und denkst, dass nehme ich in mein Buch auf? «Die Bilder kommen mir in den Sinn, wenn ich am Schreiben bin. Manchmal sagen mir Freunde, das wäre doch eine Szene für mich zum Schreiben. Aber so funktioniere ich nicht. Ich nehme es zwar auf, und manchmal kommt es beim Schreiben wieder raus. Doch wie dieser Prozess genau funktioniert, weiss ich nicht.»

Das ist eben Kreativität, die sollte man besser nicht analysieren, sondern einfach funktionieren lassen. «Meine Figuren bekommen ein Eigenleben. Ich entwickle ein Gefühl für sie und weiss dann, was mit ihnen möglich ist und was nicht.»

Wenn ich Danielas Bücher lese, geht vor meinen Augen ein Film ab. Sie haben einen flotten Rhythmus und sind in Szenen mit Action oder Dialogen unterteilt, sehr filmisch. Es ist fast wie bei einer Fernsehserie. Daniela sagt: «Das finde ich spannend, denn dieses Feedback erhalte ich immer wieder. Ich bin kein visueller Typ und weiss nicht, wie es dazu kommt. Ich schau gerne Filme und Serien. Vielleicht hat das abgefärbt. Doch ich glaube, es ist meine Sprache, die das filmische Gefühl gibt. Ich versuche sie so anschaulich und verständlich wie möglich zu halten. Der Sprachpapst Wolf Schneider sagte: Bei der Kommunikation muss sich einer anstrengen. Entweder der Schreibende, bzw. Sprechende oder der Empfangende. Es ist besser, wenn der Gebende sich anstrengt. Ich hasse Fremdwörter wie ‹bilateral besprechen›. Wieso nicht ‹unter vier Augen reden›, das gibt Bilder im Kopf! Viele meinen, einfach und klar zu schreiben, sei kinderleicht. Doch das täuscht.»

Zwischen am-Boden-zerstört und himmelhoch­­jauchzend

Wenn immer ich einen neuen Daniela-Schenk-Roman lese, gefällt es mir, ein Echo aus den vorgängigen Büchern zu hören. Beispielsweise als Zazou sich detektivisch auf die Suche nach Amelie macht, erinnert das an ihre Krimiheldin April Pallas. Eine psychische Krankheit hat sie bereits im Buch «Brennnesseljahre» beschrieben. Dort leidet die Mutter der Heldin an Depressionen. In «Mein Herz ist wie das Meer» nimmt die Krankheit Bipolarität eine zentrale Stelle ein. Ich will wissen, was Daniela am Thema psychische Krankheit interessiert.

«Das hat mit mir zu tun. Ich bin chronisch depressiv, aber dank Medikamenten symptomfrei. Als 11-Jährige hatte ich meine ersten Depressionsschübe, die bald chronisch wurden. Viel zu spät habe ich damit begonnen, Medikamente zu nehmen. ‹Wow, so kann das Leben also auch sein›, dachte ich, als ich die Depression in den Griff bekam. Zuerst wollte ich ein Buch über eine Depressive schreiben, fand aber, das werde todlangweilig – die Krankheit Depression ist nicht besonders attraktiv. Sowohl für die Mitmenschen als auch als Lesestoff nicht. Also habe ich das Ganze mit Manie gewürzt.»

Die Bipolarität interessierte Daniela ohnehin, zudem ist der starke Kontrast zwischen am-Boden-zerstört und himmelhochjauchzend literarisch spannend. «Es ist mir leicht gefallen, mich in die Manie, in diesen grenzenlosen Wahn, hineinzuversetzen. Es hat mir sogar Spass gemacht beim Schreiben» erzählt Daniela. «Interessant waren die Feedbacks der Leser*innen. Viele glauben, dass die Depression schlimmer sei als die Manie. Aber nach dem Lesen meines Buches haben sie das Gegenteil empfunden. In der Depression machst du dich selbst kaputt, doch in der Manie kannst du zusätzlich dein Umfeld zerstören.»

Amelie, die bipolare Heldin und kreative Künstlerin in «Mein Herz ist wie das Meer» treibt es in ihren manischen Phasen oft zu weit, was nicht nur ihren Liebsten schadet, sondern auch ihr selbst. «Eine bipolare Kollegin erzählte mir, wenn sie noch genug reflektieren kann, um eine kommende Manie zu erkennen, und sie sich in die Klink einweisen lässt, verlange sie, dass man sie anbindet. Nicht weil sie selbstmordgefährdet wäre, sondern wegen der Überschätzung. So im Sinne: 5. Stock? Kein Problem, da kann ich gut rausspringen! Von dieser Kollegin habe ich auch etwas anderes für Amelie übernommen: Sie erzählt mir, dass sie einmal glaubte, sie sei Gott. Klar, wir sind alle göttlich, meinte ich. Nein, ICH bin Gott! Erwiderte sie.»

Ich als – um es mal wieder in voller Länge zu schreiben – Eidgenössisch diplomierter typografischer Gestalter, fand es grossartig, wie Daniela die bipolaren Phasen typografisch umgesetzt hat. In der manischen mit hochgestellten Ichs und protzigen Grossbuchstaben, in den depressiven mit tiefgestellten Ichs und vielen Leerräumen. «Mir war es wichtig, diese Phasen, die man ja schlecht erklären kann, sichtbar zu machen. Das konnte ich einerseits mit einer bildhaften Sprache und eben auch mit der Typografie. Die Grafikerin vom Verlag freute sich nicht so darüber… Besonders die Umsetzung für das E-Book war eine Herausforderung.» Es hat funktioniert. Ich hab das Buch auf meinem Tablet gelesen und alles war korrekt dargestellt.

Kunst im Allgemeinen und Frauenkunst im Besonderen interessiert Daniela. «Ich arbeitete sechs Jahre im Buchladen des Kunstmuseums. Noch heute werde ich wehmütig, wenn ich diesen Raum betrete. Es war sehr schön, von Kunst umgeben zu sein.» Im Buch schlägt sie uns eine Lektion über Frauen in der Kunst um die Ohren. «Ich konnte Amelie vor mich herschieben, sie ist manisch und darf ausschweifend darüber referieren!» erklärt Daniela lachend. «Die Geschichten von Künstlerinnen sind halt schon spannend. Da gibt es jene, die sich wegen gesellschaftlichen Normen zugunsten ihres Mannes zurückgenommen haben oder deren Werk erst lange nach ihrem Tod richtig gewürdigt worden sind. Wie die Pionierin der abstrakten Malerei, die Schwedin Hilma af Klint, die in ihrem Testament verfügte, dass ihre Bilder erst 20 Jahre nach ihrem Tod ausgestellt werden dürfen, da sie vermutete, dass ihre Zeitgenossen sie nicht verstünden.»

Amelie wollte lange ihre Krankheit nicht behandeln lassen, weil sie findet, sie gehöre zu ihrem Leben und beflügle ihre Kreativität. Schliesslich tut sie es doch. Sie erzählte ihrer Psychiaterin vom schwulen Autor und Schauspieler Stephen Fry, der auch manisch-depressiv ist. Dieser fragte seine Leidensgenossen, ob sie auf die Krankheit verzichten würden, wenn sie die Wahl hätten. Alle, inklusive Fry, sagten nein. Daniela findet die Aussage gefährlich, denn sie beschönigt die Krankheit. Im Roman lässt sie die Psychiaterin sagen: «Die manischen Phasen haben wohl einen Turboeffekt auf seine Arbeit, die depressiven hingegen blockieren ihn. Unter dem Strich hätte er ohne die Krankheit genauso viel geleistet, aber weitaus weniger gelitten.»

Die Bipolarität und deren Behandlung sind im Roman sehr genau beschrieben. Da war einiges an Recherche nötig. Darin kennt sich Daniela aus. Sie unterrichte nämlich Bibliografie und Recherche an der Buchhandelsschule. «Über Bipolarität lässt sich gut recherchieren. Es gibt viele Berichte von Betroffenen, von denen ich einige Geschichten entliehen habe.»

Bald neuer Lesestoff

Danielas letzte Publikation, der Krimi «Alpenfrauen, ist schon drei Jahre her. Inzwischen hat sie den Verlag gewechselt. Ihr neuer Roman «Mein Herz ist wie das Meer» hat Krug & Schadenberg herausgebraucht, ein Verlag für lesbische Autorinnen. Zudem hat Daniela bereits ein neues Manuskript in petto. Es gibt also bald neuen Lesestoff, freue ich mich! Darfst du schon verraten, worum es geht? «Um ein Haus und dessen Bewohner*innen. So was wie ‹Stadtgeschichten› von Armistead Maupin, welches ich jedoch nie gelesen habe. Es gibt neun Hauptpersonen, eine Lesbe, ein Schwuler, eine Singlefrau, eine Heterofamilie mit Zwillingen, ein ständig unglücklicher Verliebter, eine alte Italienerin und die leicht demente Hausbesitzerin.» Selbstverständlich geht es um die Liebe und die Verstrickungen in und zwischen den Geschlechtern, aber auch um Sucht. Die Liebe ist der rote Faden in allen Geschichten von Daniela. Und frauenliebende Frauen. Diese werden von ihr ohne LGBT-Dünkel, frei von politischer Korrektheit, herzlich und witzig gezeichnet. «Frauenliebe soll nicht ein Thema sein, sondern ein normaler Aspekt des Lebens und Liebens.»

Man muss aber nicht lesbisch sein, um ihre Bücher zu mögen. Auch wenn das neue Manuskript weniger ‹hetero› wurde, als beabsichtig, findet Daniela (ich auch), dass ihre Bücher durchaus ein Publikum über das der Frauenliebenden hinaus verdient. «Auch der Chef meines Bruders mochte mein Buch». Also, wenn sogar ein straighter Cis-Mann es mag 😉 ! «Ich will raus aus der Nische», fasst es Daniela zusammen.

Ihr erstes Buch «Julia & Satine» kam 2004 heraus. Nicht, wie ich annahm, um gesellschaftliche Aufklärung zu betreiben, sondern aus einem ganz anderen Grund: «Ich arbeitete damals in einer Buchhandlung, wo ich die schwul-lesbische Abteilung betreute. Wenn ich jeweils in die Neuerscheinungen hineinlas, war ich meistens enttäuscht. ‹Son ä Seich! Das könnte ich auch und erst noch besser›! Nachdem ich diese Phrase drei Jahre lang wiederholt hatte, fand ich, jetzt muss ich den Beweis antreten. Es war also eher eine kompetitive Motivation. Ich schrieb einfach den Lesben-Liebesroman, den ich selber gerne lesen wollte.»

Auch wenn sie sagt, ihre Romane seien nicht biografisch, so sind es doch ihre Geschichten. Nur diese Person, mit der ich gerade eine Stunde auf dem Sofa sass und plauderte, kann diese Bücher schreiben. Autorin und Texte haben dieselbe Persönlichkeit: lakonisch und doch witzig, mit herzlichem Spott und viel Liebe für die Menschen und die Welt, in der sie lebt.  


Daniela Schenk
«Mein Herz ist wie das Meer»

2020, Krug & Schadenberg
ISBN 978-3-95917-019-2
Kaufen

 
daniela-schenk.ch
 

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