Mit Facetune, sein wahres Selbst entdecken …

… für Transfems

Die gesichts­feminisierende Operation kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, diese Form der Geschlechts­dysphorie zu heilen. Aber der Weg dahin ist steinig und langwierig. Psychiatrische Gutachten, endlose Gespräche, Kostengutsprachen und widerborstige Krankenkassen säumen den Weg der Leid geplagten trans Frau. Das monatelange Warten zieht die gequälte Seele auf, wie eine überspannte Gitarrensaite. Bevor sie endgültig reisst, gibt es für die technikaffine trans Frau Milderung in Form einer App namens Facetune.

 

Bei der Erforschung meiner ureigenen Weiblichkeit als Transgender habe ich mittlerweile viel Positives entdecken können. Aber während dieser Transition, bin ich gleichsam fast täglich diesen furchtbaren dysphorischen* Gefühlen ausgesetzt, die beinah jegliches Selbstvertrauen vernichten können. Denn noch immer fühle ich mich, rein körperlich auf mein Gesicht bezogen, nicht weiblich genug.

Wenn ich täglich Menschen begegne und mit ihnen spreche, schwingt bei jeder Begegnung die Angst mit, dass eine Person so etwas sagt wie: «Du bist doch bloss ‘n Typ in Frauenkleidern. Schau Dir doch Dein Gesicht bloss an! Wen willst Du damit verarschen?» Solche Vorstellungen können dem stärksten Charakter auf Dauer schwer zusetzen. Ich beginne unnötige Begegnungen zu vermeiden. Überlege mir mehrfach, bevor ich das Haus verlasse und wie stark Geschminkt ich sein muss, um nicht aufzufallen.

FSS oder Facial Feminisation Surgery, zu deutsch die gesichtsfeminisierende Operation kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, diese Form der Geschlechtsdysphorie zu heilen. Aber der Weg zur FFS ist steinig und langwierig. Psychiatrische Gutachten, endlose Gespräche, Kostengutsprachen und widerborstige Krankenkassen säumen den Weg der Leid geplagten trans Frau. Das monatelange Warten zieht die gequälte Seele auf, wie eine überspannte Gitarrensaite.

Bevor sie endgültig reisst, gibt es für die technikaffine trans Frau Milderung in Form einer App namens Facetune.

Facetune ist eine Bildbearbeitungsapplikation, die hauptsächlich dazu dient, Selfies zu retouchieren. Sie ist besonders beliebt bei trans Frauen, weil sie nicht nur die Haut glätten und Flecken entfernen, sondern auch das Gesicht oder den Körper neu formen und jede Spur «männlicher» Züge verbergen kann. Mir geht es beim Retuschieren nicht unbedingt darum, schöner zu sein — es geht darum, schon jetzt den Körper, das Gesicht zu sehen, das ich vielleicht erst in einigen Monaten haben werde. Ein beinah ewig erscheinender Zeitraum, wenn man unter Dysphorie leidet.

Bildbearbeitungswerkzeuge wie Facetune ermöglichen es mir, zu sehen, wie ich aussehen würde, wäre ich vom Testosteron verschont geblieben. Sie erlauben es mir, meine Ängste abzulegen und zu tun, was viele Frauen gerne tun, nämlich ein Bild von sich ins Internet zu stellen.

Bekannt gemacht mit Facetune hat mich ein Video der US-amerikanischen Video Essayistin Contrapoints alias Nathalie Wynn. Ich war sofort begeistert von der App und verwende sie fortan fleissig, um damit zu spielen und herauszufinden, wie ich mein Gesicht nach der Operation gerne hätte.

Dies veränderte mein Leben, denn Facetune öffnete mir die Augen für die Möglichkeiten meines eigenen Gesichtes und welche Ergebnisse ich mir von der FFS wünschen könnte. Möglichkeiten, die ich anders vielleicht nie hätte sehen können.

Viele Trans Frauen berichten von einer Dissoziation ihres Körpers und dem Gefühl, nicht «echt» oder nicht «Frau» genug zu sein.

Tatsächlich fühle ich mich körperlich schon sehr weiblich! Doch, obwohl mein Körper schon so weit ist, passiert in meinem Gesicht nicht sehr viel. Es ist einfach nichts zu sehen, wie ich finde.  Wenn ich in den Spiegel sehe, ist da nur ein Mann, der mich aus dem Spiegel ansieht! Facetune hilft mir, diesen Abstand in der Entwicklung zwischen meinem Körper und meinem Gesicht kleiner erscheinen zu lassen.

Ich glaube, dass Facetune den Zugang zu einer Art von Selbstvertrauen ermöglicht, das wir als Trans sonst nicht erlangen können. Facetune hilft uns, unsere Physis virtuell an das Bild anzugleichen, das wir vor unserem inneren Auge längst haben.

Ich werde die Bilder von Facetune auch dazu verwenden, um sie dem Chirurgen vorzulegen der mein Gesicht feminisieren wird.

Facetune ist jedoch ein zweischneidiges Schwert, denn ich habe manchmal das Gefühl, dass ich mich durch die Verwendung dieser App zeitweise noch dysphorischer fühle, weil ich daran erinnert werde, dass ich eigentlich [noch] nicht so aussehe. Aber ich würde niemals wieder ein Selfie veröffentlichen, ohne es durch diese App zu schieben.

Das hat nichts mit böswilliger Täuschung zu tun, sondern es ist für mich ein Hilfsmittel dabei ein Gefühl des Wohlbefindens zu erlangen. Wohlbefinden, auch deshalb, weil ich weiss, dass ich irgendwann keine App mehr benötige um solche Fotos ins Internet zu stellen.

Ein eben erstelltes Bild von mir lasse ich wenigstens einmal durch Facetune laufen. Ich bearbeite Stirn, Augen, Lippen, den Teint und einige andere Dinge, die mein Gesicht leider noch immer als Männlich erscheinen lassen. Bei diesen Optimierungen handelt es sich nicht um auffällige Überarbeitungen meines Gesichts oder meines Körpers, aber sie machen den Unterschied in der Wahrnehmung aus. Ohne Retusche würde ich mich vielleicht nie wirklich wohl dabei fühlen, mich selbst auf Facebook oder Instagram zu veröffentlichen und mein Leben mit der Welt zu teilen.


*Dysphorie, hier gemeint Geschlechtsdysphorie oder auch Gender Dysphoria –
gründet häufig dem Wunsch, als ein anderes Geschlecht als das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht zu leben und ist erkennbar an starker, anhaltender geschlechtsübergreifender Identifikation, die mit Angst, Depression, Reizbarkeit verbunden sein kann. Menschen mit Gender Dysphorie können zum Beispiel davon überzeugt sein, dass sie in einem Körper gefangen sind, der mit der subjektiv empfundenen Geschlechtsidentität nicht vereinbar ist. Die extremste Form der Geschlechterdysphorie wird medizinisch als Transsexualismus bezeichnet.

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