«Mit einem Virus habe ich bei der Aids Hilfe Bern begonnen, mit einem anderen Virus höre ich auf»

Bea Aebersold über Ähnlichkeiten und Unterschiede von Aids und Covid-19.

Eigentlich hätte Bea Aebersolds Abschied von der Aids Hilfe Bern mit einem Fest gefeiert werden sollen– immerhin arbeitete sie dort 28 Jahre lang. Doch das Coronavirus kam dazwischen. Daniel Frey war mit ihr im Chat.

Die Aids Hilfe Bern wurde am 1. Dezember 1985 gegründet – drei Jahre bevor die WHO das Datum zum Welt-Aids-Tag erklärte. 1992 begann Béatrice Aebersold für die Aids Hilfe Bern zu arbeiten. Nach 28 Jahren ging die langjährige Geschäftsleiterin nun Ende März 2020 in Pension. Und eigentlich hätte dieser Abschied gefeiert werden sollen. Doch das Coronavirus kam dazwischen. «Mit einem Virus habe ich meine Zeit bei der Aids Hilfe Bern begonnen, mit einem anderen Virus höre ich jetzt auf, ohne persönliche Abschiede und ohne Abschiedsfest», schrieb Bea Aebersold zum Abschied in einem Mail.

Bea, kann oder darf mensch das HI-Virus und das Coronavirus miteinander vergleichen?

Es gibt zwar Ähnlichkeiten, aber eigentlich auch grosse Unterschiede:
Anfang der 1980er Jahre war plötzlich von einer neuen Krankheit die Rede, die Ursache war damals noch unbekannt. Erst 1983 wurde der Erreger entdeckt und als HI-Virus identifiziert. Das Unbekannte machte Angst, Schreckensszenarien wurden heraufbeschworen, die Diskriminierung der damals Hauptbetroffenen – der schwulen Männer – war enorm.
Coronaviren waren bereits bekannt, als zuerst in China die ersten Krankheitsfälle auftraten und nun eine Pandemie entstand, die alle Länder betrifft. Auch jetzt hat die neue Krankheit sehr viele irrationale Ängste ausgelöst. Diskriminierung von asiatisch aussehenden Menschen war und ist in Europa eine der Folgen.
Die Verbreitung von HIV hat sich seit Anfang der 1980er-Jahre zu einer Pandemie entwickelt, die nach Schätzungen der Vereinten Nationen bisher etwa 39 Millionen Leben gefordert hat. Die Verbreitung von SARS-CoV-2 wird voraussichtlich nicht so viele Todesfälle fordern. Es wird hoffentlich in absehbarer Frist eine Impfung entwickelt werden und die meisten Menschen, welche am Coronavirus erkranken werden wieder gesund.

Gegen eine HIV-Infektion kann man sich bis heute nicht impfen und eine Heilung ist nach wie vor nicht in Sicht, aber die Krankheit ist heute behandelbar.

«Eigenverantwortung zeigen und das Verhalten für eine gewisse Zeit ändern.» Die Worte von Bundesrat Alain Berset zur Situation von heute galten auch damals. Bei HIV dauert die notwendige Verhaltensänderung nun schon seit fast 40 Jahren – zum Glück heute mit verschiedenen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten mit dem Ziel, das Risiko zu minimieren oder zu reduzieren. Heute ist für Viele die einfachere Variante die Einnahme von PrEP (Präexpostionsprophylaxe) zum Schutz vor der Infektion mit HIV (nicht zum Schutz vor anderen STI) und nicht mehr der Kondomgebrauch. Aber das Verhalten muss immer noch und immer wieder angepasst werden.

Wie hat das HI-Virus oder Aids die Welt verändert?

Es hat die Ärmsten am meisten getroffen und zeigte das Gefälle zwischen dem Norden und Süden sehr deutlich auf. Wirtschaftliche Entwicklung wurde verunmöglicht oder zumindest verlangsamt. Weltweit bekommen immer mehr HIV-Infizierte Medikamente, die den Erreger eindämmen. Aber noch immer haben längst nicht alle Menschen Zugang zu den antiretroviralen Therapien, weil sie in Armut leben müssen und die medizinische Versorgung nicht gewährleistet ist, dies kann durchaus auch in einem Land wie beispielsweise den USA sein. Überstanden ist die Epidemie nicht. Über zwei Millionen Menschen stecken sich jedes Jahr neu mit dem HI-Virus an. Sicherlich ist für viele Menschen die Gestaltung ihrer sexuellen Beziehungen immer noch belastend. Die Freiheit, wie wir sie vor dem Auftauchen von HIV hatten, ist für Viele manchmal einschränkend.

Wird auch das Coronavirus die Welt langfristig verändern?

Ich bin keine Hellseherin und kann das nicht sagen. Im Moment sind die Ängste vor wirtschaftlichen Folgen sicher gerade bei uns riesig, obwohl auch diese Folgen in anderen Ländern viel dramatischer sein werden. Es ist zu hoffen, dass der Anspruch an ewiges Wachstum und viele Aspekte der Globalisierung zumindest in Frage gestellt werden. Und wir müssten wohl wieder etwas lernen, das wir schlecht können, nämlich auf Einiges zu verzichten.

Immer wenn ich mit dir zu tun hatte spürte ich eine unaufgeregte, aber professionelle Gelassenheit. Wo hast du diese ruhige Art her? Bist du immer so gelassen?

Ich bin grundsätzlich ein ruhiger Mensch und selten aufgeregt, obwohl es das bei mir auch gibt, dass ich wütend und ungeduldig werde. Und natürlich hat meine lange Erfahrung, dass keine Suppe so heiss gegessen wird, wie sie gekocht wird, viel zu meiner Gelassenheit beigetragen. Zum Glück habe ich diese Qualitäten sonst wäre ich sicher nicht 28 Jahre bei der Aids Hilfe Bern geblieben.

Die Fragen stellte Daniel Frey


Chantal D. König

Nachfolgerin von Bea Aebersold als Geschäftsleiterin der Aids Hilfe Bern ist seit dem 1. April Chantal D. König. Wir wünschen Chantal einen guten Start und freuen uns über eine unkomplizierte und weiterhin konstruktive Zusammenarbeit.

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