Die Serienwelt von Ryan Murphy

Hübsche Jungs, ältere Divas und Trans*frauen

Ryan Murphy ist unser Mann in Hollywood. In seinen TV-Serien sind LGBTs nicht nur Sidkicks, sondern bekommen endlich die Hauptrollen, die sie verdient haben. Soeben ist seine neueste Mini-Serie «Hollywood» auf Netflix erschienen.

Ryan Murphy lebt mit Mann und Kind in Kalifornien. Doch wenn der Familienvater das traute Heim verlässt, ist er der mächtigste Mann im modernen Fernsehen, der bekannt dafür ist, die «marginalisierten Charaktere in den Mainstream gebracht zu haben». «Ich habe die schwulen Sidkicks zu Hauptdarstellern gemacht», erzählt er im Interview mit The Guardian[1]. Zu seinen bahnbrechenden Serien gehören unter anderem «Nip/Tuck», «Glee», «American Horror Story», «Pose» und «The Politician».

Ryan Murphy (*9.11.1965) wuchs in Indianapolis auf. In der Highschool sang er im Chor mit. Diese Erfahrung inspirierte ihn später zur populären Teenager-Serie «Glee» über einen Highschool-Chor, in dem sich die Aussenseiter der Schule zusammenfanden. Das Coming-out als Schwuler machte Murphy bereits als Teenager. Sein Therapeut meinte dazu nur, an ihm sei nichts falsch – ausser, dass er etwas zu frühreif sei, zu seinem eigenes Wohl. Die berufliche Karriere begann er als Journalist, der nebenbei noch Drehbücher schreibt. Die Drehbücher kamen aber vorerst nicht an; «zu schwul» seien sie, wurde ihm gesagt. Als er einen Undercover-Bericht über Schönheitschirurgen in Beverly Hills schrieb, wurde dieser zur Inspiration für die Serie «Nip/Tuck», die zu seinem Durchbruch führte. Dafür gewann er seinen ersten Emmy. In seiner Karriere wurde er bis heute 28 Mal für den wichtigsten Fernsehpreis nominiert und hat ihn 6 Mal gewonnen. Es werden bestimmt noch mehr werden!

Links: Ryan Murphy mit dem Fernsehpreis Emmy für «Pose». Die Einnahmen der Serie spendete er an LGBT-Organisationen. Rechts: Murphy mit seinem Ehemann David Miller.

 

Singende Schüler*innen, ein schwuler Serienmörder und Voguing

«Nip/Tuck» bekam nicht nur von der Kritik viel Lob, sondern war auch beim Publikum sehr erfolgreich. Zwar sind die beiden Hauptdarsteller heterosexuelle Männer, aber Trans*frauen haben tragende Rollen in dieser Serie. Noch erfolgreicher wurde die Musical-Serie «Glee», die er mit Brad Falchuk und Ian Brennan entwickelte, und bei der Schwule und Lesben sehr präsent sind. Einen Hit landete er auch mit der düster-barocken Serie «American Horror Story» und «The Assassination of Gianni Versace». Beide nichts für schwache Nerven! Besonders das Psychogramm vom schwulen Serienmörder, der zum Schluss seiner Mordserie den Modeschöpfer Versace vor seinem Haus in Miami erschiesst, ist so beklemmend und verstörend, dass es nicht leicht zu ertragen ist. Leicht machen will es Ryan Murphy den Zuschauer*innen nicht, auch wenn seine Serien ästhetisch etwas überhöht, wenn nicht sogar «camp» sind – halt wie es von einem schwulen Serienschöpfer zu erwarten ist. Dass er es schafft, Tragik und Glamour zu vereinen, hat Murphy mit «Pose» bewiesen. Diese Serie ist in vielerlei Hinsicht revolutionär. Er richtet bei der Story den Fokus auf eine Randgruppe innerhalb einer Randgruppe: den Black- und Latin-LGBTs und ihrer Voguing-Tanzkultur währen der Aidskrise anfangs der 90er-Jahre. Die Held*innen der Serie pendeln zwischen Ballroom, Strassenstrich und Sterbenshospiz. Für die Serie hat er mit der Autorin Janet Mock zusammengearbeitet, die selber trans ist. Die Rollen in «Pose» haben sie mit Schauspieler*innen besetzt, die tatsächlich trans, bzw. gay sind. So einen grossen LGBT-Cast gab es im TV noch nie zu sehen! «Pose» wurde mit Preisen überhäuft und war auch kommerziell erfolgreich. Das öffnete für Ryan Murphy die Türen, endlich «echte» LGBT-Serien und Filme zu machen, in denen sie die Hauptrollen spielen. «Die Dinge, die ich schon immer machen wollte, werden jetzt von Mainstream-Unternehmen verstärkt mit Millionen von Dollars unterstützt», sagt er, «denn sie wissen nun, dass es dafür ein Publikum gibt. Das ist ein sehr grosser Unterschied zu der Zeit, als ich anfing, und ich nicht einmal eine schwule Figur schreiben durfte.» Sein nächstes Projekt ist die Verfilmung des LGBTQ-Broadway-Stücks «The Boys in the Band». Zurzeit stehen aber seine zwei aktuellen Produktionen im Scheinwerferlicht: «The Politician» und «Hollywood».

Ryan Murphys Lieblingsschauspieler*innen

«The Politician» ist eine Satire auf den US-Wahlbetrieb, am Beispiel eines Wahlkampfs zum Schulsprecher an einer Highschool. Es geht um die Pervertierung der «Political Correctness» um Lügen, Intrigen und Manipulationen. Diese Serie machte den Hauptdarsteller Ben Platt – der auch ein begnadeter Sänger ist – zum Star. Ein besonderes Highlight in der Serie ist Jessica Lange in der Rolle einer Grossmutter, die ihre Enkelin zur Krebskranken macht, um von Vergünstigungen zu profitieren. Jessica Lange hatte in den 80er-Jahren Erfolge mit Filmen wie «King Kong», und «Tootsie», ging dann aber etwas vergessen. Ryan Murphy hat ihr zu einem Comeback verholfen. Sie spielte schon in «American Horror Story» mit und war in der Mini-Serie «Feud» als Joan Crawford zu sehen. Darin geht es um die Feindschaft zwischen Crawford und Bette Davis (Susan Sarandon), während der Dreharbeiten zu «What Ever Happened to Baby Jane»[2]. Ein nächstes Projekt ist auch schon in Planung: Lange soll Marlenen Dietrich spielen, während ihrer Jahre in Las Vegas. Jessica Lange ist definitiv ein Liebling von Ryan Murphy. Auch Darren Criss hat Murphy in sein Herz geschlossen. Er spielte in «Glee» einen schwulen Teenager, danach bekam er kleinere Rollen in «American Horror Story» und später die Hauptrolle in «American Crime Story – The Assassination of Gianni Versace». Für seine Rolle als Serienmörder Andrew Cunanan wurde er sogar mit einem Emmy ausgezeichnet. Jetzt bekam er auch eine Hauptrolle im neusten Projekt von Ryan Murphy: «Hollywood». Darren spielt darin einen jungen, aufstrebenden Regisseur.

Die Goldene Ära von Hollywood

«Hollywood» produzierte Murphy zusammen mit seinem langjährigen Arbeitspartner Ian Brennan und mit Janet Mock, die auch bei «Pose» mitwirkt. Weitere Executive Producer sind die Hauptdarsteller Darren Criss und David Corenswet, der auch schon in «The Politician» zu sehen war. Die aufwendig ausgestattete Serie spielt im Hollywood der 40er-Jahr. Es geht um Rassismus, Sexismus und Homophobie in der «Goldener Ära» Hollywoods. Hauptfiguren sind der gutaussehende Schauspieler Jack Castello (David Corenswet), der mangels Rollenangeboten als Gigolo arbeiten muss und reiche Frauen beglückt. Unter anderen die ehrgeizige Ehefrau eines Studiobosses, die sich emanzipieren will. Im Gigolo-Geschäft – das als Tankstelle getarnt ist – trifft er auf den Drehbuchautor Archie Coleman (Jeremy Pope), der die männliche Kundschaft bedient. Archie verliebt sich aber in einen Kunden, einen heimlich schwulen Schauspieler. Das Drehbuch, das Archie geschrieben hat, soll auch tatsächlich verfilmt werden, bis rauskommt, dass ein «Negro» hinter dem Namen steckt. Auch die afroamerikanischen Schauspielerin Camille Washington (Laura Harrier) ist rassistischen Anfeindungen ausgesetzt und wird nur als Bedienstete besetzt. Sie hat eine Liebesbeziehung mit dem aufstrebenden Regisseur Raymond Ainsley (Darren Criss).

Nebst diesen fiktiven spielen auch historische Figuren in dieser Serie eine Rolle. Da ist Rock Hudson zu sehen, vor seinem Durchbruch, dessen Homosexualität in der Industrie ein offenes Geheimnis ist, und in den sich der Drehbuchautor Archie verliebt. Weitere reale Personen in der Handlung sind der Agent Henry Willson (gespielt von Big Bang Theorie-Star Jim Parsons), der seine Homosexualität versteckt, die erste afroamerikanische Oscar-Preisträgerin Hattie McDaniel (Queen Latifah), die Camille mit Ratschlägen zur Seite steht, Anna May Wong, die als erster sino-amerikanischer Filmstar in den Vereinigten Staaten gilt, US-Präsidentengattin Eleanor Roosevelt, die Darsteller Tallulah Bankhead, Tab Hunter und Vivien Leigh, der Regisseur George Cukor sowie der Schriftsteller Noël Coward.

Hübsche Jungs und ältere Divas gibt es in Ryan Murphy Serienwelt immer zu sehen. In «Hollywood»  ist die Augenweide Jack Castello (David Corenswet), der auch als Gigolo arbeitet, um seine Karriere als Schauspieler voranzutreiben und seine Kundin Avis Amberg, die später seine Chefin wird, gespielt von der Broadway-Legende Patti LuPone.

 

Ryan Murphys Serie «Hollywood» ist aber nicht dokumentarisch. Zwar zeigt sie, wie Rassismus, Sexismus und Homophobie im Hollywood der 40er-Jahre ziemlich offen ausgelebt werden, doch sie begnügt sich nicht damit, dies einfach hinzunehmen. Die Serienmacher*innen nehmen sich sogar die Freiheit, die Geschichte umzuschreiben! Da dürfen beim Happy End Archie und Rock als Paar über den roten Teppich laufen, Camille erhält endlich eine Hauptrolle, in der sie keine Bedienstet spielt und wird prompt mit den Oscar ausgezeichnet. Und das Filmstudio wird am Serienende von einer Frau geleitet – einfach, weil sie es besser kann. Tatsächlich wäre und ist das damals so nie passiert. Aber in Ryan Murphys Serienwelt ist das möglich, er macht sich die Welt, wie sie ihm gefällt! Ganz aus der Luft gegriffen ist das queere Liebesleben dieser Hollywood-Legenden aber nicht. So einen Gigolo-Ring gab es tatsächlich. Siehe dazu auch den interessanten Artikel aus dem Mannschafts Magazin.

Netflix schloss mit Ryan Murphy 2018 einen Vertrag ab für weiter Serien in den folgenden fünf Jahren, den Murphy um 300 Millionen Doller reicher machte. Ein guter Deal auch für Netflix, denn die Murphys Serienwelt scheint vielen Leuten zu gefallen. Für «Pose» wurde eine dritte Staffel angekündigt und für «The Politician» die Zweite. Für die Polit-Satire konnte er übrigens Bette Midler gewinnen, die damit ihr Netflix-Debüt gibt. Murphys hat Bette Midler die Rolle auf den Leib geschrieben, weil er auf diese wunderbaren starken Frauen steht, wie Bette Midler sie verkörpert. Vermutlich wird auch «Hollywood» fortgesetzt, einfach in einer anderen Zeit mit einer anderen Geschichte und neuer Besetzung. Egal was es sein wird, sehenswert wird es allemal, denn wo Ryan Murphy drauf steht, dürfen wir uns auf viel Queeres freuen!

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