Statistischen Erfassung von «hate crime»

Kanton Bern sagt Ja, der Ständerat sagt Nein

Am 10. März hat die bürgerliche Mehrheit des Ständerates die Motion zur Erfassung von «hate crimes» knapp mit 21 gegen 18 Stimmen abgelehnt. Einen Tag später sagte der Grosse Rat des Kantons Bern Ja zur Motion «LGBTl-feindliche Gewalt statistisch erfassen»


«Was ist genau gemeint?»
Ständerat versenkt die statistische Erfassung von LGBTIQ-feindlicher Gewalt

 

Heute Vormittag (10.3. 2020) hat die bürgerliche Mehrheit des Ständerates die Motion zur Erfassung von «hate crimes» aufgrund von sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität, Geschlechtsausdruck oder Geschlechtsmerkmalen knapp mit 21 gegen 18 Stimmen abgelehnt.

Eigentlich kann doch von einem gewählten Volksvertreter erwartet werden, dass er vor einer Debatte im Bundeshaus seine Hausaufgaben macht und sich erklären lässt, was die Begriffe «sexuelle Orientierung», «Geschlechtsidentität», «Geschlechtsausdruck» und «Geschlechtsmerkmale» bedeuten. Doch für den FDP-Ständerat Thomas Hefti war das heute Vormittag im Ständerat nicht klar: «Was ist genau gemeint? Jedenfalls mir wird das nicht klar.» (Video)

Zudem ist der Ständerat aus Glarus überzeugt, dass die Feststellung von Tatmotiven doch Sache der Richterin oder des Richters sei und nicht die der Polizei. Dabei ist doch die Erfassung dieser Straftaten einfach. «Es braucht im Polizeirapport nur ein Kästchen», meint Muriel Waeger, Directrice romande der Lesbenorganisation Schweiz und von Pink Cross. «Während der Kampagne zur Erweiterung der Rassismus-Strafnorm die Regenbogenfahne hoch zu halten, aber sich dann weigern, Massnahmen zur Verbesserung der konkreten Situation von Menschen, die von diesen ‹hate crimes› betroffen sind, mitzutragen, ist unverantwortlich!»

Wir brauchen gesamtschweizerische Zahlen über die tatsächliche Situation, da wir die Umstände dieser Taten kennen müssen, um ihre Häufigkeit zu reduzieren.

Sie halte eine für alle Kantone verbindliche Datenerfassung für zentral, um den Schutz der betroffenen Personen zu stärken, sagte SP-Ständerätin Marina Carobbio Guscetti im Namen der vorberatenden Kommission und bewies Durchblick. Die Erhebung der Daten könne Handlungsbedarf aufzeigen und Anhaltspunkte für Prävention liefern.

Damit ist die Vorlage auf nationaler Ebene definitiv vom Tisch und unsere ganze Hoffnung auf eine Statistik von ‹hate crimes› liegt nun bei den einzelnen Kantonen. Sieben Kantone habe sich bereits dafür ausgesprochen, in fünf Kantonen sind die Entscheidungen noch offen – beispielsweise im Kanton Bern. Da soll noch heute oder spätestens morgen entschieden werden. 

Für die Motion stimmten:
Grüne Fraktion: Lisa Mazzone (GE), Céline Vara (NE), Maya Graf (BL), Adèle Thorens Goumaz (VD), Mathias Zopfi (GL)
SP-Fraktion: Roberto Zanetti (SO), Élisabeth Baume-Schneider (JU), Paul Rechsteiner (SG), Eva Herzog (BS), Marina Carobbio Guscetti (TI), Carlo Sommaruga (GE), Christian Levrat (FR), Daniel Jositsch (ZH)
FDP-Fraktion: Johanna Gapany (FR), Olivier Français (VD), Damian Müller (LU)
CVP-Fraktion: Charles Juillard (JU), Marianne Maret (VS)

Dagegen gestimmt haben:
SVP-Fraktion: Hansjörg Knecht (AG), Thomas Minder (SH), Werner Salzmann (BE), Hannes Germann (SH), Alex Kuprecht (SZ)
FDP-Fraktion: Philippe Bauer (NE), Thierry Burkart (AG), Hans Wicki (NW), Andrea Caroni (AR), Ruedi Noser (ZH), Thomas Hefti (GL)
CVP-Fraktion: Peter Hegglin (ZG), Stefan Engler (GR), Erich Ettlin (OW), Pirmin Bischof (SO), Daniel Fässler (AI), Heidi Z’graggen (UR), Beat Rieder (VS), Benedikt Würth (SG), Othmar Reichmuth (SZ), Brigitte Häberli-Koller (TG)


Kanton Bern sagt JA zur statistischen Erfassung von «hate crime»

 

Nach dem knappen Nein im Ständerat war die Zitterpartie einen Tag später im Grossen Rat gross. Nach der Sitzung meldete die Berner Grossrätin Barbara Stucki via WhatsApp, dass der Grosse Rat ihrer Motion «LGBTl-feindliche Gewalt statistisch erfassen» mit 87 Ja- gegen 52 Nein-Stimmen bei 10 Enthaltungen zugestimmt hat.

Im Kanton Bern werden also Gewaltverbrechen mit LGBTI-feindlichem Motiv künftig statistisch erfasst. Die Motionärin Barbara Stucki: «Der Grosse Rat hat unsere Motion heute Nachmittag gegen den Willen der Regierung überwiesen». Die so erhobenen Zahlen werden zeigen, ob und in wiefern im Kanton Bern homo‑, trans- oder interphobe Gewalt ausgeübt wird und daraus konkrete Massnahmen dagegen abgeleitet werden können.

Eingebracht hatte Barbara Stucki (GLP) die Motion am 17. Mai des letzten Jahres zusammen mit den Grossrät*innen Jan Gnägi (BDP), Meret Maria Schindler (SP) und Christa Ammann (AL).

Zugestimmt haben bei der Abstimmung im Rat die Parteien BDP, GLP, EVP, SP und Grünen. Die Gegner des Vorstosses von FDP, SVP und EDU betonten – selbstverständlich – auch sie verurteilten jegliche Art von Gewalt. Eine Statistik bringe jedoch den Betroffenen nichts und die Bürokratie werde weiter ausgebaut.

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