Neue Mannsbilder

Maskulinität (über)denken – Ausstellung im Photoforum Pasquart

«Her Take. Maskulinität (über)denken» heisst die Ausstellung im Photoforum Pasquart, die noch bis am 5. April zu sehen ist. Gezeigt werden Bilder von sieben Fotografinnen der Fotoagentur VII. Jede Fotografin legt eine visuelle Reflexion über zeitgenössische Männlichkeit und ihre mediale und künstlerische Darstellung vor.

Die sieben Frauen der VII Photo Agency beschreiben ihr Projekt gerne als Gespräch. Sie wollten Bilder und Archetypen, die traditionell mit dem Männlichen assoziiert werden, erforschen, hinterfragen und überdenken. Dabei konzentrierten sie sich auf männliche Figuren mit begrenzter öffentlicher Sichtbarkeit, Menschen, die das männliche/weibliche Binärsystem ablehnen, oder Männer, deren Darstellungen im Allgemeinen stark stereotypisiert sind. Gleichzeitig überdenken die Fotografinnen ihre eigene Geschlechtsidentität und greifen ikonische Werke der Kunstgeschichte auf.

Nackte MÄNNER STATT NACKTE FRAUEN

Sara Terry hat solche ‹ikonische Werke› neu interpretiert. «Ich beschäftige mich mit einigen der berühmtesten Gemälde der Kunstgeschichte, die nackte Frauen zeigen, die von Männern gemalt wurden», erzählt sie. «In meiner Re-Kreation werden nackte Frauen durch nackte Männer ersetzt. Aber das ist nur der Ausgangspunkt». Bei ihrer Neuinterpretation von Botticellis ‹Die Geburt der Venus› machte sie sich folgende Überlegungen: «Die Geburt der Venus ist eine Schöpfungsgeschichte, die mit einem höchst brutalen Gewaltakt beginnt. Der Mythologie zufolge schnitt Cronus seinem Vater Uranus mit einer Steinsichel die Testikel ab und warf seine Genitalien ins Meer. Sie brachten das Meer zum Schäumen, und aus diesem Schaum wurde die Venus geboren – die Göttin der Schönheit und Liebe, geboren aus sexueller Gewalt. Ich antworte darauf auf die einzige Weise, die ich kenne – indem ich meine eigene Geschichte erzähle. Mit ‹(Re)Thinking The Birth of Venus› habe ich mir diese Schöpfungsgeschichte auf jeder Ebene als Frau angeeignet, einschliesslich der Tatsache, dass ich mich selbst als die Gottheit auf dem Bild in das Foto gesetzt habe. In einer Zeit wütender Männer entscheide ich mich dafür, den Mann aus Liebe zu erschaffen. Und statt einen Mantel zu halten, um seine Nacktheit zu verbergen – wie in Botticellis Gemälde – halte ich ihm einen Spiegel vor, der ihn einlädt, sich selbst ohne Künstlichkeit zu sehen, um zu wissen, dass er auch ohne Macht, Prestige oder roher Kraft ein Mann ist. Ich möchte, dass er weiss, dass er geliebt wird, dass er von der nährenden Erde kommt, nicht von einem wütenden Meer, und dass er seinerseits diese Liebe zurückgeben muss.»

Ausserhalb der Binarität

Linda Bournane Engelberth beschäftigte sich in ihrem Projekt «Outside the Binary» mit den Geschlechtsidentitäten. «Die Idee, dass es mehr als zwei mögliche Geschlechter gibt, ist ein kontroverses Thema. Es entbrennt eine Debatte, in der die eine Seite darauf besteht, dass Geschlecht binär ist, und die andere Seite behauptet, es gäbe ein Spektrum. Es kommt zu Streitigkeiten, und viele werden missverstanden und nicht gehört. Es gibt Frustration, Wut und Schmerz. Das Wunderbare an meinem Projekt ist daher, dass es die Menschen, um die sich die Debatte dreht, in friedlichen Porträts zeigt.»

© Linda Bournane Engelberth: Ozi, 22, Jakarta, Indonesia (links) und Luca, 25, London, UK (rechts) aus der Series «Outside the Binary», 2017-2019

Die Fotografien porträtierte unter anderem Ozi aus Indonesien, die sich als nichtbinär identifiziert und für sich das Pronomen «sie» beansprucht, weil sie ihre weibliche Seite liebt. «Ich erforsche mich selbst durch Kunst und Mode, ich trage Frauenkleidung, Absätze und so weiter», erzählte sie der Fotografien und findet, dass Nichtbinäre wie sie, Personen sind, die entweder männlich oder weiblich sind, aber aktiv die Rolle des anderen Geschlechts übernehmen im Gegensatz zu Transsexuellen, die ihre ganze Identität in weiblich oder männlich ändern wollen. «Doch für mich ist der Name nicht so wichtig, das Selbst ist wichtiger.»

Luca aus London, den Linda Bournane Engelberth ebenfalls fotografierte, benutzt lieber das Wort ‹genderqueer› als ‹nichtbinär›. «Es ist ein politischer Begriff, der nicht nur meine individuelle Positionierung beschreibt, sondern meine Ablehnung der Binarität als Ganzes», sagt er. «Ich denke, Geschlecht ist etwas Fluides und die Welt an sich ist nicht binär. Ich möchte die Menschen mit der Expression meines Geschlechts verwirren, mit ihren Annahmen spielen. So habe ich das Gefühl, dass zwischen all diesen starren Vorstellungen und Bildern, wie Frauen und Männer aussehen, sich bewegen und klingen, ein gewisser Spielraum besteht.»

«Das Leben als Mann hinter sich zu lassen»

Jessica Dimmock hat für ihr Projekt «Brick» Interviews und schriftliche Berichte von älteren Transfrauen verwendet. Mit ihren Bildern wollte die Fotografien Szenen des jahrzehntelangen Versteckens von weiblicher Identität nachstellen. Die Frauen dieses Projekts sind Mitglieder des Militärs, Mechaniker, Väter und Grossväter. Alle haben sie eine hervorragende Arbeit geleistet, um «Männer zu sein» – einer der vielen Faktoren, die ein Coming-Out in dieser späteren Lebensphase besonders kompliziert und extrem riskant machen. Jessica Dimmocks Fazit zu ihrem Projekt: «In den Jahren, die ich mit dieser Gemeinschaft mutiger und widerstandsfähiger Frauen gearbeitet habe, habe ich ihre Reisen nicht als «Frauen werden» gesehen, sondern als eine Erforschung dessen, was es bedeutet, das Leben als Mann hinter sich zu lassen.»

© Jessica Dimmock: Mharie, aus der Series «Brick», 2017

 

Anush Babanjanyan wählte einen anderen Ansatz um der Männlichkeit auf die Spur zu kommen: sie trägt die Kleidung der Männer, die sie in ihrem Leben kennen gelernt hat. «In ihrer Kleidung tauche ich körperlich und geistig in Erinnerungen und Geschehnisse der Vergangenheit, sowie in die Gegenwart ein. Ich begebe mich in eine Erforschung ausserhalb meiner selbst, erfinde ein imaginäres (männliches) Selbst neu. Kleidung und Schuhe werden zu Metaphern für eine Erfahrung des Anderen, des Gegenteils, des immer nahen, aber nie wirklich gefühlten.»

Ilvy Njiokiktjien beschäftigte sich in ihrem Fotoprojekt «To Be Us» mit Witwern, deren Kinder ihre Mutter verloren haben. Muss man Vater und Mutter in einer Person sein? Wie zeigen Väter in dieser Rolle ihre feminine Seite? Ihre maskuline Seite? Ilvy Njiokiktjien fotografiert Witwer und ihre Kinder in der Hoffnung, Licht auf die Herausforderungen zu werfen, denen diese Familien gegenüberstehen, aber auch auf die neuen Beziehungen, die sich zwischen den Vätern und ihren Kindern bilden.

Der modernen afrikanischen Häuptlinge

© Nichole Sobecki, Joel, faus der Series «afriMAN», 2018

«afriMAN ist eine Untersuchung der Männlichkeit und der Untergrabung traditioneller Erwartungen durch Individuen auf dem afrikanischen Kontinent», beschreibt Nichole Sobecki ihre Arbeit. «Die Porträts sind Interpretation der modernen afrikanischen Häuptlinge – Männer, die ihr eigenes Identitätsgefühl definieren.» Genau so wichtig wie die Fotografie, war bei diesem Projekt das Interview, dass sie zuvor mit den Protagonisten führten. Ballettänzer Joel, der mit Mutter, Grossmutter und Schwestern in den Slums von Nairobi aufwuchs, erzählt: «Meinen Vater habe ich nie gekannt, aber ich habe meine Onkel mit ihren Frauen gesehen. Sie kamen ins Haus, setzten sich und fragten: ‹Wo ist mein Essen? Hat jemand das Wasser geholt?› Das galt damals als Männlichkeit. Als ich anfing zu tanzen, haben die Leute das nicht verstanden. Sie sagten mir, ich wäre dumm, meine ganze Zeit für etwas zu opfern, das nie irgendwo hinführen würde. Aber das ist etwas, das ich tun kann, was die meisten Menschen nicht können. Es ist, als ob du ein Superheld wärst. Und daher kommt mein Sinn für Männlichkeit. Wenn ich mich schlecht fühle, kann ich das in diese andere Seite meines Lebens kanalisieren. In einem Ballettkurs ist dem Choreographen dein Geschlecht egal. Er wird dir sowohl männliche als auch weibliche Bewegungen zeigen. Und um ein grossartiger Tänzer zu sein, musst du mit beiden deiner Seiten in Kontakt sein.»

Maggie Steber sagt es mit Blumen

In ihrem Projekt «Men Born from Blossoms» wollte Maggie Steber Männer auf unerwartete Art und Weise zeigen. «Ich bin ohne einen Vater oder männlichen Einfluss aufgewachsen», sagt die Fotografin, «und so sind mir Männer in gewisser Weise ein Rätsel gewesen. Deshalb habe ich angefangen, Männer mit Blumen zu fotografieren. Die Männer, die ich fotografiere, sind hetero oder schwul oder älter oder jünger… Ich wähle die Männer einfach danach, wie sie mich bewegen oder weil ich denke, dass sie etwas Besonderes an sich haben und weil ich denke, dass sie schöne Menschen sind. Ich versuche, einen Blumentyp auszuwählen, der ihnen ähnlich scheint oder mich an eine Qualität erinnert, die sie haben.»

Performance von Nicola Genovese am 27. Februar

«A Novanta (90 Grad)» ist eine Solo-Performance des Italieners Nicola Genovese, die am 27. Februar um 18:30 Uhr im Photoforum Pasquart aufgeführt wird. Die Performance betrachtet Gesten, die in Italien als «a novanta» bekannt sind. Das sind Handlungs- und Mimikmuster, die meist von einem Mann ausgeführt wird, der den Geschlechtsverkehr im Doggy Style imitiert. «A novanta» untersucht mehrere spezifische Aspekte traditioneller italienischer Männlichkeit, insbesondere wie italienische Männer mit Leistungsangst umgehen, wie sie ihr Bedürfnis nach Kontrolle über Frauen anpassen und wie nationalistische Rhetorik verflochten ist mit sexueller Performance im Kontext der sogenannten weissen Männlichkeit in der Krise. Als Folge der #metoo-Debatte wird diese Geste in der Öffentlichkeit selten verwendet, weil sie als grob empfunden wird, aber sie überlebt in privaten Situationen und ist immer noch weit verbreitet.


Her Take. Maskulinität (über)denken

Photoforum Pasquart
Faubourg du Lac 71
2502 Bienne

Die Ausstellung ist noch bis am 5. April zu sehen.

Weitere Infos: www.photoforumpasquart.ch

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