Erotik und die Reise zu sich selbst – «Schamlos!»

Queer-feministisches Pornographie-Festival Bern

Vom 26. bis 29. Februar findet in der Reitschule das «Schamlos!»-Festival statt. Rhoda von bern.lgbt hat sich mit Alizé und Elena vom Veranstaltungskomitee über Pornographie aus queer-feministischer Sicht unterhalten, über die Herrschaftsverhältnisse, die kapitalistische Komponente und ihre Utopie.


Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen – es geht um Pornographie. Queer-feministische Pornographie um genau zu sein. Das «Schamlos!»-Festival findet vom 26. bis 29. Februar statt, und ich habe mich mit zwei der Veranstalter*innen, Alizé und Elena, unterhalten. Nicht ganz einfach, dieses längere, eingehende Gespräch in einige wenige Abschnitte zusammenzufassen…

Fangen wir beim Namen an. «Schamlos!». Diese Betitelung ruft viele Konnotationen auf den Plan: inkludierend, ethisch, akzeptierend. Schamlos zu sein heisst frei zu sein davon, was die Gesellschaft uns vorschreibt, zu uns selbst zu stehen und zu tun, was sich für uns gut anfühlt. Wie hängt das mit Pornografie zusammen? Dafür gibt es viele Gründe, ich versuche hier nun drei davon etwas aufzuschlüsseln.

Erstens: Herrschaftsverhältnisse.

Gängigerweise werden in Pornos bestehende Machtverhältnisse einer heteronormativen Gesellschaft und «schöne» Körper gezeigt und bestärkt. Die kleine zierliche Frau nimmt unterwürfig hin, was der dominante starke Mann von ihr will. Die menschliche Diversität in herkömmlicher Pornographie ist also sehr beschränkt, viel offensichtlicher noch als in vielen anderen Filmsparten. Parallel dazu ist der Konsum von Pornographie sehr verbreitet, was dieses Bild, was als «normal» und «richtig» gesehen wird, verstärkt. Sind doch mal andere Körpertypen zu sehen, werden sie fetischisiert und die Personen wiederum auf ihren Körper beschränkt. Schaut man nun queerfeministische Pornographie, wird einem schnell bewusst, wie schubladisierend und herabwürdigend herkömmliche Pornographie ist. Das schlichte Zeigen der Vielfalt an Körpern, an zwischenmenschlichen Verhältnissen und an Narrativen in queerfeministischer Pornographie ermöglicht eine erweiterte Akzeptanz von anderen, aber auch von sich selbst, was der Lusterfahrung nur dienlich sein kann.

(W/HOLE) Queer Porn von AORTA Films & the A.O. Movement, USA 2019, am Mittwoch 26.02. um 20 Uhr im Kino Reitschule

Zweitens: Die kapitalistische Komponente.

Herkömmliche Pornographie ist eine riesige Industrie, Körper werden förmlich zu Ware und Ausbeutung der Darsteller*innen ist weit verbreitet. Es ist kompliziert und noch nicht ganz klar, in wie vielen Wegen und wie genau Kapitalismus dem Feminismus im Weg steht, doch einige Punkte stehen bereits auf ziemlich sicheren Beinen: Kapitalismus basiert auf Wachstum, was wiederum eine stetig zunehmende Menge an Ressourcen und Arbeitskraft sowie möglichst niedrige Produktionskosten benötigt. Ebenso braucht es einen Bedarf, den es zu decken gilt. Sowohl die Ausbeutung von Arbeitskräften wie auch das absichtliche Erzeugen eines Bedarfes sind vielfach sexistisch und anti-feministisch motiviert. Frauen* kriegen weniger Lohn – mehr kapitalistisches Wachstum. «Nur mit diesem Produkt siehst du gut genug aus, dass überhaupt jemand mit dir Sex haben würde»-Werbung – mehr kapitalistisches Wachstum. Queerfeministische Pornos hebeln dieses System aus, indem sie akzeptieren, inkludieren und den Darsteller*innen angemessene Löhne zahlen. Die Lust am eigenen Sexualempfinden steht wieder im Zentrum.

Drittens: Der Öffentlichkeitsaspekt.

«Es ist ein gänzlich anderes Erlebnis, queerfeministische Pornos in einem Festivalkontext zu schauen. Man wird sich bewusst, was man schaut, man kann mit anderen reflektieren. Diese Kollektivität bietet die Möglichkeit für einen heilsamen Prozess», sagt Alizé. Im Dialog mit anderen spürt man eigene Grenzen stärker, als wenn man bei sich zuhause Pornos konsumiert. Das Veranstaltungskomitee möchte eine sichere Umgebung schaffen, dass diese Grenzerfahrungen positiv verlaufen und man sich nicht gezwungen oder beurteilt fühlt. Die Öffentlichkeit hat noch einen anderen Effekt: «Dadurch, dass man zwar erotische Inhalte schaut, aber nicht masturbiert, entsteht so etwas wie eine erotische Energie», erklärt Elena. «Der Raum und die Leute wirken geladen, man sucht dann auch den Austausch. Diese Energie kann auch für andere Projekte eingesetzt werden, es muss nicht immer nur darum gehen, zum Orgasmus zu kommen.» Neben den Filmen gibt es auch Workshops, beispielsweise zu BDSM. Da hat man vielleicht gleich wieder sehr patriarchalische Herrschaftsverhältnisse im Kopf, doch es geht eben auch gerade darum, diese Konzepte voneinander zu trennen. Wenn man als Frau* beispielsweise durch Unterwerfung Lust verspürt, ist man deswegen keine «schlechte Feministin». «Bei BDSM gibt es klare Regeln und klare Rollen (Dom und Sub), die sich auf alle Geschlechtsidentitäten anwenden lassen. Dabei wird das heteronormative binäre Konzept verlassen. Gegenseitiger Respekt und Consent werden in dieser Praktik enorm gross geschrieben: Es ist ein Versuch, Machtverhältnisse aus dem Unterbewusstsein raus ins Spiel einzubauen, klar und sorgfältig, in einem vorgegebenen Rahmen, und dabei auch ein Bewusstsein und eine Sensibilisierung für Hierarchien zu schaffen», sagt Elena.

Utopie? Ja, aber…

Ein queerfeministisches Pornographie-Festival zu veranstalten ist kein leichtes Unterfangen. Die Ansprüche, die die Veranstalter*innen an sich selbst haben, sind hoch. «Die Hoffnung ist, dass wir mit solch einer Plattform erreichen, dass es keine Ausgrenzung mehr gibt, sei dies körperlich, wegen der Geschlechtsidentität, wegen der sexuellen Orientierung … dass man einen Menschen sieht und man sieht den Menschen. Alle fühlen sich wohl, fühlen sich frei mit sich, reden offen und interagieren miteinander, ohne Kategorisierung und Wertung. Das ist die angestrebte Utopie», sagt Elena. Dabei sei ihr durchaus bewusst, dass die Welt nach wie vor in sehr heteronormativen Schienen läuft. Doch man müsse trotzdem versuchen, in Richtung dieser Utopie zu gehen, denn: «Wenn etwas vielen Menschen gut tut, muss man irgendwo anfangen.»


Schamlos!

Queer-feministisches Pornographie-Festival Bern
26.–29. Februar 2020
Reitschule, Bern

Programm auf schamlos.be

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