In Bewegung bleiben

Das Interview mit René Böhlen von Pink Alpine

René Böhlen gründete die Firma Pink Alpine, die Outdoor-Reisen für Männer anbietet, er leitet die GLSBe-Laufgruppe und macht Lobbyarbeit für den Öffentlichen Verkehr. Bewegung, Reisen und Mobilität sind seine Themen. Darüber hat Ludwig Zeller sich bei einem Küchentischgespräch mit ihm unterhalten.


Ludwig und René in der Küche

Ich besuche René Böhlen in seiner schönen Eigentumswohnung im Obstberg, um mit ihm ein Küchentischgespräch zu führen. Er hat mich zum Mittagessen eingeladen und ist grad am Kochen als ich ankomme. Da steht gar keinen Küchentisch, merke ich, und zudem ist draussen ist das schönste Herbstwetter! Also tragen wir unsere Teller auf den Balkon. Es gibt eine Gnocchi-Pfanne mit Hüttenkäse und Wasser. «Ä Guete!» Bei einem feinen Essen lässt sich gut darüber plaudern, wer René ist, über seinen Bewegungsdrang und sein Reiseunternehmen Pink Alpine.

In der Eisenbahn aufgewachsen

René Böhlen ist ein Bewegungsmensch. Stillstand ist nicht sein Ding. Das zeichnete sich schon in seinem Elternhaus ab. Sein Vater war nämlich bei der Eisenbahn. Die Familie reiste oft mit dem halben Haushalt im Zug. «Ich lernte früh im Zug zu essen, zu schlafen und mich umzuziehen. Wir hatten damals kein Auto, also reisten wir mit dem Zug oder machten auch mal längere Strecken mit dem Velo. So lernte ich die Schweiz gut kennen.»

Wenn die Böhlens nicht auf Schienen unterwegs waren, hiess ihre Endstation Burgdorf. Nach der Schule machte René die Kaufmännische Lehre, später ein Nachdiplomstudium in Unternehmenskommunikation und Bern wurde zu seinem neuen Hauptbahnhof. Er landete allerdings nicht bei der Bahn, sondern bei Postauto. Hier leitete er zuerst den Regionalbetrieb und war dann in der Geschäftsleitung verantwortlich für die Kommunikation. Mit der Postauto-Affäre vom letzten Jahr, – als aufgedeckt wurde, dass sich die Geschäftsleitung Subventionen erschummelt hatte, – hatte René allerdings nichts zu tun.

Neben seinem Job engagiert sich René auch in der LGBT-Community. Ich lernte ihn vor etwa 15 Jahren kennen, als er für die gayAgenda Artikel schrieb, die Vorgängerin von bern.lgbt. Damals begann er auch in der Laufgruppe bei Gay & Lesbian Sport Bern (GLSBe) mitzumachen. Seit 2010 ist er im Vorstand des Vereins und leitet die Laufgruppe BernFrontrunners. 2011 gründete René das Unternehmen Pink Alpine, das sich auf Outdoor-Reisen für Männer spezialisiert hat. Daneben arbeitet er heute Teilzeit bei LITRA, einer Lobbyorganisation für den Öffentlichen Verkehr. «Ich habe eine Karte fürs Bundeshaus und mache dort Verkehrspolitik.»

Doch es ist seine Firma Pink Alpine, für die er am meisten Zeit aufwendet. Zu Beginn hat er die Reisen nicht nur organisiert, sondern auch begleitet – aber: «Das Volumen der Unternehmensführung hat enorm zugenommen. Inzwischen haben wir 20 Guides und bieten pro Jahr ca. 30 Reisen an. Es ist schon etwas schade, dass ich nicht häufiger bei den Reisen dabei sein kann, denn da erlebt man ja am besten, was das eigene Produkt hergibt.»

Du rennst, du reist viel, hast beruflich mit Mobilität zu tun und führst auch noch ein Reiseunternehmen. Stehst du nie still?

Mir wird schnell mal langweilig. Das Verändern, das sich Umplazieren ist wichtig für mich. Ich kann schon mal ruhig sitzen oder liegen bleiben, aber räumliche Veränderung oder die unterschiedlichen Geschwindigkeiten brauche ich. Ich kann beispielsweise nicht tagelang ‹tschumple›, irgendwann muss ich auch etwas Schnelleres haben, wie das Velo. Ich brauche Abwechslung!

Wirkt sich das auch auf dein Umfeld aus und auf deine geistige Haltung?

Leute, die stets verpassten Chancen nachtrauern, statt anzupacken, die in Selbstmitleid versinken und nichts daran ändern, unbewegliche Menschen, auch in geistiger Hinsicht, haben in meinem Umfeld nichts zu suchen. Ich bin nicht nostalgisch, ich suche lieber das Neue und will sowohl körperlich wie geistig beweglich bleiben.

Ich musste lernen, den Moment auszuhalten.

Vorwärts gehen, weiter gehen, das ist dein Ding. Aber ist das vielleicht auch manchmal ein Davonlaufen?

In jüngeren Jahren war das schon so. Ich musste lernen, den Moment auszuhalten. Überspitzt gesagt: wenn ich früher ein Ziel erreichte – zum Beispiel einen Bergspitz – begann ich 10 Minuten später schon wieder den Abstieg. Heute kann ich gut auch mal eine Stunde bleiben und einfach die Aussicht geniessen, die Situation geistig fotografieren und festhalten und muss nicht schon wieder nach der nächsten Herausforderung lechzen.

Pink Alpine – nur für Männer

Als René Pink Alpine gründete, wollte er eigentlich ein Angebot für die ganze LGBT-Community machen. «Doch die Durchmischung hat nicht funktioniert», stellt er nach ersten Versuchen fest. «Die Bedürfnisse der Männer und der Frauen, insbesondere von Schwulen und Lesben, sind einfach zu unterschiedlich.» Also bot er geschlechtergetrennte Reisen an. Doch, dass ein reines Männer-Management Reisen nur für Frauengruppen anbietet, kam logischerweise auch nicht gut an. Also heisst es jetzt: ausschliesslich für Männer. Das kam bei den Naturfreunden an. Es scheint ein Bedürfnis zu geben, dass Männer unter sich sein können. Im gesellschaftlichen und im beruflichen Leben ist heute alles diversifiziert. Aber genauso wie Frauen ihre eigenen Räume brauchen, wollen das auch Männer. Und durchaus nicht nur schwule Männer. «Wir haben immer mehr Heteromänner, die bei uns eine Reise buchen.»

Was ist denn der Vorteil einer (schwulen) Männergruppe?

Man muss sich nicht outen! Es ist doch so, wenn man als schwuler Mann in einer ‹normalen› Gruppe landet, muss man sich früher oder später outen, wenn man die Fragen nach Frau und Familie satt hat. Zu uns kommen Männer, welche die Gesellschaft von Männern suchen und sich nicht rechtfertigen wollen.

Auch wenn mit einer reinen Männergruppe der Geschlechterkampf ausgeschlossen werden kann, sind Männer doch auch Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Weltanschauungen. Gibt das nicht manchmal Probleme?

Zum Glück nur sehr selten. Es funktioniert meistens erstaunlich gut. Und falls es doch mal Streitereien gibt, sind unsere Guides entsprechend ausgebildet um eine Eskalation zu vermeiden. Was mir aber aufgefallen ist, ist, wie oft Kunden bei uns buchen, um Anschluss zu finden. Einige scheinen im Alltag leider recht einsam zu sein. Jedoch kann eine Gruppe schwuler Männer so etwas meistens sehr gut auffangen. Ein gemeinsames Erlebnis kann eben auch verbinden.

Haben sich auch schon Paare gefunden? Oder ist gar die Erwartung da, dass man Liebe oder zumindest Sex findet?

Klar haben sich schon Paare gefunden! Aber bei uns soll niemand buchen mit der Idee, dass er hier den Mann seines Lebens findet. Ähnliche Reiseanbieter, wie wir es sind, setzen mehr auf die Karte des Verkuppelns. Doch das macht keinen Sinn für uns. So würden wir nur Erwartungen schüren, die unmöglich zu erfüllen sind.

 

Wir wurden bei Pink Alpine vorsichtiger. Nur weil ein Rezeptionist selber schwul ist, heisst das nicht, dass der ganze Betrieb gayfriendly ist.

Worauf achtest du besonders, wenn du eine Reise organisierst? Ich stelle mir vor, dass ein Hotelmanager schnell mal sagt, mein Hotel ist gayfriendly – aber wenn es die Angestellten dann nicht sind?

Wir bereiten die Leistungsträger darauf vor. Der Klassiker ist zum Beispiel, wenn zwei Männer ein Doppelzimmer buchen, darin dann zwei freistehende Betten stehen. Ich gehe mit den Hoteliers und Fremdenführern die ‹Dos und Don’ts› durch. Falls sie unsere Vorgaben nicht einhalten können, wechseln wir die Anbieter.
Wir wurden auch vorsichtiger. Nur weil ein Rezeptionist selber schwul ist, heisst das nicht, dass der ganze Betrieb gayfriendly ist. Manchmal wird es dort am schwierigsten, wo man sich im Vorfeld keine Sorgen gemacht hat. Die grössten ‹Lämpe›hatten wir in einem Hotel auf Gran Canaria. Das Problem war aber nicht das Personal, sondern ihre homophoben Gäste. So eine Gruppe schwuler Männer kann für einige schon eine Herausforderung sein. Aber meistens läuft es gut. Ich bereite die Hotels, besonders in fernen Ländern, darauf vor. Ich sage ihnen, dass unsere Gäste nicht im Tanga mit Federboa auftauchen werden. Es kann aber schon sein, dass sie sich in der Lobby umarmen oder küssen. Und dann wollen wir keine blöden Sprüche hören oder dass geglotzt wird.
Auch bei uns in den Berghütten haben wir nur sehr selten Probleme. Natürlich fragen wir auch explizit bei unserer Kundschaft nach, ob sie sich als Schwule wohlfühlten. Ihr Feedback ist uns sehr wichtig.

Schwule sind beliebte Kunden, weil sie Geld haben, sagt man. Ist das so?

Nein, ich habe bisher nie das Gefühl gehabt, wir werden ausgenommen wie eine Weihnachtsgans. Ich glaube, das ist inzwischen vorbei, dass die Anbieter die Schwulen nur wollen, weil sie eine hohe Kaufkraft haben. Heute zählt eindeutig mehr, dass die meisten Schwulen als wertschätzende und erwartungsvolle Gäste in den touristischen Betrieben geschätzt sind.

Was war dein persönliches Reisehighlight mit Pink Alpine?

Mir hat besonders die Reise nach Lappland gefallen. In diesen absoluten Winter, wenn alles zugeschneit ist und du zusammen mit der Gruppe in einer Sauna sitzt. Eine Schneeschuhwanderung durch die weisse Landschaft, das unterschiedliche Licht der Sonne. Zudem kommt im Winter, wenn die Natur draussen bedrohlich ist, die Gruppe näher zusammen. Das gibt ein gutes Gefühl.

Thema Flugscham! Du bietest zwar Reisen in ferne Länder an, aber sagst auch, dass du dich mit Pink Alpine wieder vermehrt auf nahe gelegene Gebiete konzentrieren willst. Was hat die Klimaschutzbewegung für einen Einfluss auf euer Angebot?

Ja, das ist ein omnipräsentes Thema. Die Guides kommen zu mir und sagen, sie wollen keine Reisen mehr begleiten, bei denen man das Flugzeug braucht. Auch Kunden kommen, teils angriffig, und sagen Sachen wie: Warum seid ihr überhaupt noch im Reisegeschäft tätig? Doch da muss man schon etwas differenzierter denken. Auf unserer Homepage haben wir unter dem Credo etwas zu nachhaltigem Reisen aufgeschaltet. Grundsätzlich sind Reisen in andere Länder nie nachhaltig. Wir empfehlen unseren Kunden deshalb eine CO2-Kompensation, wie z. B. bei myclimate.org. Zudem versuchen wir vor Ort nicht nur auf die ökologische Nachhaltigkeit zu achten, sondern auch auf die soziale. Wir achten darauf, mit Partnern zusammenzuarbeiten, die den lokalen Angestellten faire Löhne bezahlen, dass das Geld primär vor Ort bleibt und nicht durch grosse Konzerne ins Ausland fliesst und dass wir echte Begegnungen und kulturellen Austausch mit der Lokalbevölkerung ermöglichen. Wir achten auch darauf, dass wir möglichst wenig Abfall produzieren und diesen den Möglichkeiten entsprechend umweltfreundlich entsorgen.
Ich bin überzeugt, dass Reisen bildet und einen wichtigen Beitrag zum interkulturellen Verständnis leistet.

Merci René für das interessante Gespräch und für das feine Essen.

 

www.pinkalpine.ch

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