«Verpass dis Läbe nid»

100 Porträts, 100 Botschaften - und Nadja Frey

Die Galerie Kornhausforum Bern zeigte eine Ausstellung mit Porträts von Bernern und Bernerinnen, die eines gemeinsam haben: die Lust am Leben. Fotografiert wurden sie von Nadja Frey in ihrem Fotostudio. Das Projekt ist eine Herzensangelegenheit von Nadja, die sonst als Werbefotografin arbeitet. Ich wollte mehr über die Motivation zum Projekt und die Ausstellung wissen und vereinbarte mit ihr einen Termin in ihrem Studio in Hinterkappelen.

Ludwig und Nadja Frey

Draussen ist es brütend heiss! Ich schwinge mich auf mein Velo und radle durch den Bremgartenwald zum Wohlensee. Beim Glasbrunnen mache ich einen Zwischenhalt, um am Brunnen frisches kühles Wasser in eine Flasche abzufüllen. Bei dieser Sommerhitze das perfekte Mitbringsel. Nadja Freys Studio befindet sich zum Glück im Kellergeschoss. Es ist angenehm kühl. Die ideale Temperatur für ein Gespräch über das Leben, und was es mit einem anstellt.

In Nadja Freys Leben lief es meistens rund. Sie machte ihre Fotografieausbildung, sie reiste viel, jobbte im Gastgewerbe und als Assistentin bei Fotografen. Sie stellte ihren Fokus auf ihre Träume ein und konnte sie festhalten. Nadja Frey machte sich als Fotografin selbständig und fand eine Lebenspartnerin, mit der sie in einem alten Haus wohnt, bei dem es immer etwas zu renovieren gibt. Alles perfekt im Regenbogenland! «Eigentlich furchtbar langweilig. Wenn man gefragt wird, ‘Wie geht’s Euch?’, sagt man ‘gut’. Wir haben uns eine heile Welt geschaffen. Ich fühlte mich wie ein Glückspilz.»

Nadja ist eine offene und kommunikative Frau mit einem positiven Blick auf die Welt und einem herzhaften Lachen. Als Fotografin wusste sie jedoch: nicht jeder Klick auf den Auslöser der Kamera macht ein perfektes Foto. Man muss das Sujet erst ins richtige Licht setzen. So ist es auch mit den Bildern, die man vom Leben hat. Manchmal geraten sie aus dem Fokus oder sind verwackelt und unscharf. Auch das eigene Leben muss man immer wieder neu beleuchten. Der Schicksalsschlag traf sie dann aber doch unerwartet. Bei ihrer Lebenspartnerin Angela wurde Brustkrebs diagnostiziert, ein ziemlich bösartiger sogar. «Die schlimmste Zeit war die nach der Diagnose. Wenn man noch nicht weiss, ob sich schon Metastasen gebildet haben, wie er behandelt werden wird und wie es nun weitergehen soll. In dieser Zeit haben wir viel miteinander geredet. Die Konfrontation mit dem Schicksal stellte das Leben, die Zeit und den Alltag in Frage», erzählt Nadja. In dieser Situation ins Studio zu gehen, um eine leblose Uhr zu fotografieren, machte für Nadja keinen Sinn mehr. Sie wollte sich jetzt auf ihre Partnerin konzentrieren und etwas machen, das sinnstiftend ist. Sie baute ihr im Garten eine Rehabilitationsterrasse.

Bei den Gesprächen mit ihr war auch der Tod ein Thema. «Was willst du noch erleben, wenn du nur noch wenige Monate hast?», fragten wir uns. Dabei ist in den Fokus gerückt, dass man vom Leben eigentlich noch viel erwartet, dass man noch Träume und Ziele hat und noch so viel zu geben. «Wir haben beide noch Wünsche und wollen ein sinnvolleres Leben führen und vor allem etwas den Menschen geben. Ich koche und verwöhne meine Gäste sehr gerne. Beide träumen wir von einem Haus auf dem Land mit vielen Tieren. Ich will unbedingt einmal einen Esel! Doch Träume und Wünsche gehen im Alltag manchmal verloren. Dann wirst du krank und es ist plötzlich zu spät, diese zu erfüllen. Eines Morgens ist mir dieser Satz eingefallen: ‘Verpass dis Läbe nid!’»

Der Krebs konnte erfolgreich behandelt werden. Angela ist jetzt wieder gesund. Doch die Gespräche und dieser Satz blieben bei Nadja hängen. «‘Verpass dis Läbe nid!’ ist ein Appell und ein Bekenntnis zugleich, das ich mit anderen teilen wollte.» Wie sie diesen Gedanken in eine Fotografie packen kann, war schnell klar. Als Werbefotografin hält sie mit ihrer Kamera oft Gegenstände oder Gebäude fest. Doch um die Lust auf das Leben zu zeigen, braucht es Menschen. Also lud sie Freund*innen und Bekannte in ihr Fotostudio ein. Sie lud auch Menschen ein, die sie nicht kannte, die ihr von anderen ans Herz gelegt wurden, und auch Prominente, die bereitwillig zusagten, wie z.B. Heidi Maria Glössner. Nur eins war wichtig: dass sie eine Lebenslust ausstrahlten. Um das festzuhalten, braucht es kein schmeichelhaftes Licht und keine Dekoration. Es braucht nur den direkten Blick in die Kamera. Sie fotografierte alle mit dem gleichen Licht vor einem dunkelblauen Hintergrund und dem gleichen Bildausschnitt.

Wichtig waren auch die Gespräche, die sie mit den Menschen während der Fotosession führte. Die Porträtierten mussten nämlich einen Satz oder einen Spruch mitbringen, der zu ihnen passt. Diesen versuchte sie dann mit der Kamera festzuhalten. «Ich sagte ihnen, es werde ein hartes Licht sein, das nichts verbirgt, und dass ich nichts retouchieren werde – ausser es sei ein ‘Bögu’!», lacht Nadja. «Bei manchen brauchte ich nur drei Fotos, bei anderen mehrere. Zusammen suchten wir dann am Bildschirm das Foto aus, das am besten zum Spruch passt. Es wurde nicht immer das Bild ausgesucht, auf dem sie am besten aussehen, sondern das, welches sie am besten darstellt. Beim Auswählen kam man ins Philosophieren. Ich habe so viele Geschichten aus dem Leben gehört. Sie erzählten mir von Sachen, die sie verpasst haben, und von ihren Wünschen. Die Fotosession dauerte oft nur kurz, um so länger waren die Gespräche danach.»

Es ist etwas anderes, sein Fotoporträt anzuschauen, als sich im Spiegel zu sehen. Für manche war es schwierig, sich so zu sehen, gerade wenn sie eine leidvolle Geschichte hinter sich hatten. «Eine sagte, als sie sich anschaute, vor dieser Falte haben die Leute manchmal Angst. Andere sagten ‘Ich schaue mich gerne an’ oder ‘Es tut mir gut, mich so zu sehen’. Einige öffneten mir ihr Herz und wir lagen uns am Schluss in den Armen. Ich finde alle, die ich fotografiert habe, wunderschön!»

Ursprünglich wollte Nadja in der ganzen Stadt Plakate mit den Porträts und ihrer Botschaft aushängen. Doch das kam leider nicht zustande. Also fragte sie im Kornhausform an, ob sie interessiert seien. Sie waren es und organisierten die Ausstellung. «An die Vernissage sind die meisten der Porträtierten gekommen. Es war ein schöner Abend!», schwärmte Nadja. «Auch wenn ich sehr nervös war, weil ich noch eine Rede halten musste – das ist nicht so mein Ding. Besonders berührend war, dass die Vernissage für viele auch ein Wiedersehen war. Da haben sich Leute getroffen, die sich schon lange nicht mehr gesehen haben. Es tönt kitschig, aber es war viel Liebe im Raum.»

Nicht nur ist die Ausstellung noch am Laufen, es kommen auch immer noch Rückmeldungen von ‚meinen Leuten’, wie Nadja schmunzelnd die Porträtierten nennt. Beispielsweise meldet die Frau, die als Spruch «Frei wie ein Vogel im Wind» ausgewählt hat, dass sie ihren Spruch endlich in die Tat umgesetzt habe und mit dem Fallschirm aus einem Flugzeug gesprungen sei. «Ich habe so viel gelernt bei diesem Projekt. Die Energie der Menschen und ihre Geschichten haben mir geholfen, mit meiner eigenen Situation umzugehen und auch meine Zukunft neu zu überdenken.»

Das klare Glasbrunnenwasser hat gewirkt, denke ich, als ich mich von Nadja verabschiede. Ich bin nämlich überzeugt, dass der Glasbrunnen im Bremgartenwald ein mystischer Ort ist und dass das Wasser besondere Kräfte hat. Diesmal hat es zu einem offenen und herzlichen Gespräch geführt. Nach dem Interview ist auch mir glasklar geworden: Verpass dis Läbe nid!


Die Ausstellung läuft bis am 27. Juli in der Galerie Kornhausforum

Kornhausforum Bern
Kornhausplatz 18,  Bern
www.kornhausforum.ch

Öffnungszeiten:
Di-Fr 10.00-19.00 Uhr
Sa 10.00-17.00 Uhr
Sonntag/Montag geschlossen
Eintritt frei

 

 

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