Schwul im Vatikan

Frédéric Martels Buch «Sodoma» deckt auf.

Unter Schwulen wird oft gespottet, dass die Katholische Kirche die grösste Homogruppe der Welt sei. Nun belegt eine wissenschaftliche Studie, dass das kein Witz ist, sondern die reine Wahrheit.

Der französische Soziologe und Journalist Frédéric Martel hat eine Studie veröffentlicht zur Homosexualität im Vatikan. Er ist zu einer – für uns nicht besonders – überraschenden Kenntnis gekommen: 80 Prozent der Geistlichen und Kardinäle sind homosexuell. Sein Buch «Sodoma» handle von einem Staatsgeheimnis, vom dem eigentlich viele wissen, aber nur wenige darüber sprechen. Frédéric Martel hat dieses Schweigen nun gebrochen. Der Autor bezeichnet den Vatikan als «grösste Schwulen-Gemeinschaft der Welt. Das ist eine Dichte, die selbst das Gay-Viertel Castro von San Francisco nicht erreicht.». Um das rauszufinden, hat er vier Jahre recherchiert und mit rund 1500 Personen gesprochen die im, mit oder für den Vatikan arbeiten. Er habe mit mehreren Kardinälen und Bischöfen gesprochen, aber auch mit Strichern am Bahnhof Roma Termini. Priester sind die besten Freier, erzählten die männliche Prostituierten dem Autor, sie sind die intensivsten, grosszügigsten und verschwiegensten. Und übrigens kaufen sie lieber Migranten als Italienern.

Jacopo de’ Barbari «St Sebastian», ca. 1510-12, engraving, British Museum

In der Gay-Community provoziert diese Erkenntnis höchsten ein amüsiertes Lächeln. Das die Katholische Kirche «camp» ist, war uns schon immer klar. Allein der Fummel, mit dem sich die Geistlichen gerne kleiden, ist einer Drag Queen würdig. Ihr Erlöser und Messias ist ein attraktiver junger Mann mit Sixpack der Jünger um sich scharte. Wenn man sich Leonardo da Vincis «Letztes Abendmahl anschaut, könnte man das auch als Darstellung eines Treffens der Homosexuellen Arbeitsgruppe Jerusalem interpretieren. Ein Gewimmel von nackten Männerkörpern zeigt Michelangelos Deckengemälde in der Sixtinischen Kapelle. Der Märtyrer Sebastian wurde zum (inoffiziellen) Schutzheiligen der Schwulen – dies allerdings weniger auf Grund seines Martyriums, sondern der homoerotisch aufgeladene Kunstwerke wegen, die den Heiligen Sebastian meistens als nackten, an einen Baum gefesselten und von Pfeilen durchbohrten Jüngling darstellen. Diese homoerotischen Fantasien können nicht überraschen, wenn man bedenkt, dass die Katholische Kirche seit 2000 Jahre ein reiner Männerbund ist. Man kann zwar darüber spotten und Witze machen, doch bei näherem Betrachten, bleibt einem das Lachen im Hals stecken. Die Tatsache, dass so viele homosexuelle Männer die Katholische Kirche leiten und wir Schwule es gleichzeitig ihnen zu verdanken haben, das Homosexualität Jahrhundert lang verteufelt wurde, ist beschämend und macht wütend.

Dem Autor Frédéric Martel geht es allerdings nicht um die homoerotischen Aspekte der christlichen Kunst. In seinem Buch «Sodoma» erforschte er vor allem das letzte Jahrhundert der Katholischen Kirche und ihren Umgang mit Homosexualität innerhalb der Gemeinschaft. Dabei deckt er einige homosexuelle Beziehungen auf – auch bei Päpsten. So behauptet Martel, Papst Paul VI soll in den 70er-Jahren eine Beziehung mit einem Ballett-Tänzer der Mailänder Scala eingegangen sein und habe während seiner Amtszeit sogar dezidiert homosexuelles Personal eingestellt. Mit ihnen bildete er im Vatikan eine Seilschaft, die für die allgemeine Verschweigungskultur in der Kirche verantwortlich sei.

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. und sein Privatsekretär Georg Gänswein 2013 im Vatikan. Bild: Michael Kappeler, dpa. Quelle

Die meisten in der Kurie seien jedoch homophil, also homo ohne Sex. Immerhin gilt für Gottes Bodenpersonal immer noch das selbstauferlegte Zölibat. So ein «homophiler Asket» sei der deutsche Joseph Ratzinger gewesen, der 2005 zum Papst Benedikt XVI gewählt wurde. Da man trotz Sexverzicht romantisch veranlagt sein kann, inszenierte er 2013 die Bischofsweihe für seinen geliebten – und sehr gut aussehenden – Sekretär Georg Gänswein, wie eine Hochzeits- und Krönungsmesse. Doch laut Martel blieb die Homophilie lebenslang Ratzingers «innerer Feind» und diese bewog ihn schlussendlich auch zu seinem freiwilligen Rücktritt vom Amt. Weil Ratzinger seine Sexualität so erfolgreiche unterdrücken konnte, erwartete und verlangte er diese Keuschheit von allen Schwulen. Der Autor findet, dass Benedikts Pontifikat desaströs war. Ratzinger war ein williger Vollstrecker im politischen Kampf gegen homosexuelle Akte, Präservative und Homo-Ehe. Er bestrafte Befreiungstheologen, die in Afrika Kondome verteilten, doch viele pädophile Priester hat er entschuldigt. Allen voran Marcial Maciel, einen der schlimmsten Kinderschänder des 20. Jahrhunderts.

Und so sind wir beim Thema gelandet, das derzeit die katholische Kirche am meisten beschäftigt: der sexuelle Missbrauch von Minderjährigen. Schwule ärgern sich, wenn Homosexualität und Pädophilie in denselben Topf geworfen werden. Auch der Autor will das nicht vermischen und schreibt: Homosexualität kann genauso wie das Zölibat – also die Ehelosigkeit von Priestern – nicht per se als Ursache für sexuellen Missbrauch gelten. Trotzdem findet er einen Zusammenhang. Es sei vor allem die Angst der Homos im Vatikan vor einem unfreiwilligen Outing, welches sie dazu verleitet, Pädophile zu schützen und Vorfälle von Missbrauch zu vertuschen. Martel meint, die Verschwiegenheitskultur innerhalb der Kirche begünstige das Unter-den-Teppich-Kehren pädophiler Skandale.

Ein weiteres Problem der Katholischen Kirche ist, dass sie heute Schwierigkeiten hat Nachwuchs zu finden. Galt das Priesteramt lange als Fluchtort für junge Homosexuelle, hat es heute an Anziehungskraft verloren. Die Emanzipation der Homosexuellen und die Anerkennung der Gleichberechtigung durch die Gesellschaft ist für Martel die Hauptursache für die massiv sinkende Priesterberufung.

Doch wie geht es weiter mit der Katholischen Kirche? Erst kürzlich hat sich der erste Vatikanmitarbeiter öffentlich geoutet. Der 43-jährige polnische Priester Krysztof Charamsa erklärte im Interview mit der Mailänder Tageszeitung «Corriere della Sera», er sei homosexuell, habe einen Partner und sei glücklich und stolz darauf. Er sagte auch «Ich bin bereit, die Folgen für mein Coming-out zu tragen. Die Zeit sei gekommen, dass die Kirche ihre Augen vor gläubigen Schwulen öffne und begreife, dass die Lösung, die sie vorschlage – die totale Abstinenz vom Liebesleben – unmenschlich sei.» Die Augen der Kirche blieben geschlossen. Der schwule Priester wurde per sofort von seinen Aufgaben entbunden. Doch wenn der Vatikan alle Schwulen in der Kurie entlassen würde, hätte sie fast keine Leute mehr. Offen dazu stehen geht auch nicht, dann würden die Kirche die Glaubwürdigkeit bei ihrer Kundschaft verlieren, der sie seit Jahrhunderten einflösst, dass Homosexualität des Teufels sei. Vermutlich kommen ihr die Missbrauchsskandale grad recht. Sie haben den perfekten Sündenbock gefunden und können das Thema Homosexualität weiterhin vertuschen und verleugnen.

 

Das Interview mit dem schwulen Priester Krysztof Charamsa

 

Quellen:

Stuttgarter Zeitung https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.homosexualitaet-in-der-katholische-kirche-ist-der-vatikan-eine-riesige-schwulen-gemeinschaft.af29f2a0-f8a9-4115-85fe-76a0445f49de.html

Tagesanzeiger https://www.tagesanzeiger.ch/leben/gesellschaft/wenn-schwule-schwule-hassen/story/13831108

https://www.tagesanzeiger.ch/panorama/vermischtes/ich-bin-ein-homosexueller-priester-und-bereit-die-folgen-zu-tragen/story/18263149

 

Kommentare
  1. Franziska sagt

    Dem kann ich nur zustimmen!
    Die Ordensgemeinschaft der Alexianerbrüder ist da auch ein gutes Beispiel. Da wurde unter einander und überhaupt. Ich weiß das, ich saß an der Quelle 😉

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