COCO

Ludwig Zeller erinnert sich an die ersten Begegnungen mit Coco, über deren kurzes aufregendes Leben ein Musical geschrieben wurde.

Wie eine Sternschnuppe erleuchtet Eve-Claudine Loretan, alias Coco, in den 90er-Jahren die Berner Szene. Mit ihrem extravaganten Styling inspirierte sie Kulturschaffende und ihre Geschlechtsanpassung wurde fürs Fernsehen dokumentiert. So wurde sie zur berühmteste Transfrau der Schweiz. Auch 20 Jahre nach ihrem Selbstmord inspiriert sie Menschen. Ludwig Zeller, Autor von gaybern.ch, erinnert sich an die erstem Begegnungen mit Coco.

 

Coco, die Erscheinung

Ich kann mich noch gut an die erste Begegnung mit Coco erinnern. Das war 1986, vor dem Meerhaus, damals gab es dort im Keller einen Konzertclub. Bern in kulturpolitischem Aufruhr: Illegale Bar, besetzte Häuser und eine Jugend die nach (alternativer) Unterhaltung lechzt. Reitschule, Dampfzentrale, Progr, all das gab es damals noch nicht. Und ich, grad Zwanzig geworden, ein schwuler Schriftsetzer Lehrling, oft mit Freunden* an illegalen Partys und Kellerkonzerten anzutreffen, Styling mässig irgendwo zwischen Gothic, Hippie und Popper, stand also in meinen auffälligsten Klamotten vor der Türe des Untergrundclubs und schwatzte mit anderen aufgetakelten Bernern*. Da sah ich plötzlich dieses androgyne Wesen von dem ein besonderes Strahlen ausging. Als wäre es direkt aus einem coolen Club in London nach Bern gebeamt worden. Perfektes Make-up, platinblonde, steile Frisur, Lederjacke zu zerrissenen Jeans und Dr. Martens an den Füssen. Diese Erscheinung stellte sich als Marc vor, war ein Gymnasiast aus Thun und mit 17 bereit das Leben zu erkunden. Er war intelligent, witzig, manchmal etwas anstrengend und sah fantastisch aus! Klar wurde Marc ein Teil unsere Clique und im beschaulichen Bern zum Star. Doch immer öfters kam bei ihm das Thema Geschlechteridentität auf. Aus Marc sollte bald die erste berühmte Transfrau der Schweiz werden: Coco.

Coco, der Star

Ob Mode, Kunst oder Fotografie – Kulturschaffende fanden in Coco eine Inspiration. Ihr öffneten sich viele Türen, alle waren fasziniert von Coco. Besonders aufgefallen ist mir das, als ich mit ihr für ein paar Tage in London war. Dort lebten alle meine Helden und Stilvorbilder von damals, Boy George, Pete Burns und Marc Almond. In dieser Stadt wird man als Tourist normalerweise nicht gross beachtet, auch wenn man sich noch so modisch kleidet, doch mit Coco war das anders. Sie übertraf mit ihrem Auftritt selbst die coolsten Londoner, sie sah aus wie ein Star und die sonst so distanzierten Briten wollten sie kennen lernen. Doch diese Coco, die alle Blicke auf sich zog, war eine Kunstfigur, nur Schminke und Klamotten. Aber in ihr steckte auch eine Eve-Claudine, eine Frau in einem Männerkörper. 1991 beschloss sie, dass es jetzt Zeit ist für eine Geschlechtsanpassung. Auf diesem beschwerlichen Weg liess sie sich von einem Filmteam begleiten. Paul Rinikers Fernsehdokumentation «Coco» über die Geschlechtsanpassung wurde zum Quoten Hit auf SRF und machte Coco zu einer Berühmtheit in der ganzen Schweiz. Doch der Glanz im Scheinwerferlicht ist trügerisch und vergänglich. Coco wurde nicht glücklich, auch nicht als Frau. Irgendwie schien sie sich selber im Weg zu stehen. Was hätte alles aus ihr werden können? Die Erwartungen von aussen, aber auch an sich selbst, konnte sie nicht erfüllen. Coco hat die Kraft verloren und beging 1998 Selbstmord. Wie eine Sternschnuppe erleuchtete Coco für kurze Zeit Bern mit ihrem Strahlen.

Coco, das Musical

Diese Geschichte voll Drama und Glamour eignet sich doch wunderbar für ein Musical, muss sich Cihan Inan, Schauspieldirektor von Konzerttheater Bern, gedacht haben. Denn das Leben von Coco als Musical in der Vidmar Halle auf die Bühne zu bringen, war seine Idee. Alex Seibt und Markus Schönholzer haben Texte und Songs geschrieben, inszeniert hat es Stefan Huber. Die Macher* erheben aber keine Anspruch auf historische Genauigkeit. Ihr Musical soll eine Hommage sein an eine Frau, die ihren anspruchsvollen Weg mit Entschlossenheit und Würde gegangen ist. Sie glauben aber auch, dass es in dieser Geschichte um uns alle geht – um die Notwendigkeit, sich die alles entscheidende Frage zu stellen: «Wer bin ich?» Und es geht um den Mut, den wir dafür aufbringen müssen. Aber vor allem geht es um den Preis, den wir für die Antwort zahlen.

Am Freitag, 20. April 2018 feierte das Transgendermusical COCO seine Premiere in der Vidmar Halle. Die Hauptrolle wurde von Mariananda Schempp gespielt. Und Christoph Marti, allen bekannt als Ursli Pfister, spielte auch mit! Seine Bühnenfigur Gillette ist gleichzeitig Frisör und Chirurg. Diese Premiere war ein besonderes Highlight in Berns Theatersaison. Es ist zu hoffen, dass dieses gelungene Musical noch an anderen Theatern gezeigt wird.

Fotos: Aus dem privaten Album von Ludwig Zeller ©

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