Emile Griffith – Box­weltmeister und Damenhut­designer

«Knock Out!» Die Geschichte des schwulen Boxers als Graphic Novel

Der Boxer Emile Griffith erlangte 1961 traurige Berühmtheit, als er seinen Gegner derart hart traktierte, dass dieser ins Koma fiel und Tage später verstarb. Vor dem tödlichen Kampf hatte er Griffith homophon beleidigt. Der Berliner Zeichner Reinhard Kleist erzählt die aufwühlende Geschichte des schwulen Boxers, der auch Damenhüte entwarf, mit einer Graphic Novel.

Homophobie im Sport ist heute ein grosses Thema. In den 60er-Jahren, also lange bevor Schwule und Lesben für ihre Rechte zu kämpften begannen, war das kein Thema. Das macht die Geschichte von Emile Griffith umso bemerkenswerter. Er war ein schwarzer Boxer, der damals in Amerika ziemlich offen schwul lebte. Wenn er nicht im Ring die Fäuste fliegen liess, galt seine Leidenschaft dem Entwerfen von Damenhüten. In seiner 20-jährigen Boxkarriere wurde er mehrfacher Weltmeister und ging nur zweimal K.o. Doch er selbst setzte einen Knockout-Schlag, unter dem er lebenslang litt.

1962 boxte Emile Griffith vor laufenden Fernsehkameras gegen seinen Kontrahenten Benny Paret um den WM-Titel und setzte ihm derart zu, dass Paret ins Koma fiel und zehn Tage später starb. Vor dem tödlichen Kampf hatte er Griffith mit homophoben Verunglimpfungen zutiefst beleidigt. Griffith wurde zwar vor Gericht frei gesprochen, doch er fühlte sich zeitlebens schuldig deswegen. Er sagte später in einem Interview: «Wie seltsam das ist … Ich töte einen Mann, und die meisten Leute verstehen das und verzeihen mir. Hingegen, ich liebe einen Mann, und so viele halten das für eine unverzeihliche Sünde, die mich zu einem schlechten Menschen macht. Wenn ich auch nicht im Gefängnis gelandet bin, so war ich trotzdem fast mein ganzes Leben lang eingesperrt.»

Für einen schwulen, schwarzen Mann, war es ziemlich schwierig in dieser Zeit offen homosexuell zu leben. Es war zwar kein Geheimnis, trotzdem heiratete er 1971 zum Schein eine Frau und adoptierte auch gleich deren Tochter. Bei der Hochzeit als Trauzeuge dabei war sein Liebhaber Willson Henderson, ein Stonewall Aktivist der ersten Stunde. Doch die Homophobie begleitete Griffith weiterhin. 1992 wurde er vor einen Gay-Club fast zu Tode geprügelt. Wie viele Boxer, die ständig Schlägen auf den Kopf ausgesetzt sind, erkrankte er an Demenz. Doch die Demenz musste für ihn eine Befreiung gewesen sein, endliche konnte er seine Schuld vergessen. Griffith starb am 23. Juli 2013 in New York.

«Wie seltsam das ist … Ich töte einen Mann, und die meisten Leute verstehen das und verzeihen mir. Hingegen, ich liebe einen Mann, und so viele halten das für eine unverzeihliche Sünde, die mich zu einem schlechten Menschen macht. Wenn ich auch nicht im Gefängnis gelandet bin, so war ich trotzdem fast mein ganzes Leben lang eingesperrt.»

Emile Griffith (1938 – 2013) war ein US-amerikanischer Boxer und Weltmeister im Welter-, Halbmittel- und Mittelgewicht. Bild: Griffith im Training 1964. (Photo by Keystone/Hulton Archive/Getty Images)

 

Emile Griffith’ Leben als Graphic Novel

In seiner neuen Graphic Novel «Knock Out!» macht Reinhard Kleist den amerikanischen Boxweltmeister Emile Griffith zu seinem Protagonisten. «Als ich die Erzählung von Emile Griffith‘ Leben das erste Mal gelesen hab, dachte ich, dass dies eine erzählerische Steilvorlage ist. Es ist alles da: ein facettenreicher Charakter, ein Bruch, eine spannende Geschichte.» Reinhard Kleist erzählt Geschichten mit schwarzem Pinselstrich. Dabei hat der Berliner Zeichner eine besondere Vorliebe für grafische Biografien. Er zeichnete bereits die Leben vieler besonderer Charaktere, wie Johnny Cash, Nick Cave und Fidel Castro. Und jetzt also die vom schwulen Boxer Emile Griffith.

Reinhard Kleist

«Mich hat die Geschichte vom ersten Moment angesprochen. Ich konnte mit Emile Griffith mitfühlen, da ich es mit meinem Schwulsein auch nicht immer leicht hatte. Griffith ist eine ziemlich faszinierende Persönlichkeit, der es in einer Zeit, in der es für Schwule per se schwierig war, es geschafft hatte, einen recht offenen Lebensstil zu führen. Und das als Schwarzer in einem Amerika der 60er- und 70er-Jahre, wo die Bürgerrechts­bewegungen gerade erst anfingen.»

Emile Griffith, der Junge von den Jungferninseln aus schwierigen Familienverhältnissen, hatte Glück mit dem Arbeitsplatz bei einem Hutmacher und der Entdeckung seines Boxtalents. Nur so war es für ihn möglich in der weissen, heterosexuellen Gesellschaft der 1960er-Jahre zu Ruhm und Geld zu kommen. In einem anderen Beruf oder einer anderen Sportart hätte es diese Chance kaum gegeben. Der mehrfache Box-Weltmeister lebte und genoss in seiner aktiven Boxzeit das Leben eines Gewinners, kämpfte aber bis an sein Lebensende mit den Schuldgefühlen, einen anderen Menschen getötet zu haben.

«Mich interessieren gebrochene Charaktere, die viele Facetten haben», erzählt Reinhard Kleist. «Emile Griffith ist sehr schwer einzuordnen. Er war einerseits ein Sonnyboy, ein Partylöwe und ein ungemein positiver Mensch, der es allen um ihn herum immer recht machen wollte. Aber auch jemand, der versucht hat, mit einem unfassbaren Trauma fertig zu werden. Diesen Bruch fand ich spannend. Zudem schaffte er es, einen sehr eigentümlichen Lebensstil zu verfolgen. Er war nicht nur Boxer, sondern nahm auch Singles auf und hatte eine Modelinie für Damenhüte!»

Diesen Bruch und diese Tragik vermag Reinhard Kleist eindrucksvoll zu erzählen: Er verwendet den für ihn typischen Kunstgriff, Biografisches mit fantastischen und surrealistischen Elementen zu verweben und seinem Protagonisten eine Erzählerstimme zu Seite zu stellen. Wie auch bei den vorangegangenen Biografien verzichtet Reinhard Kleist auf Farbe. Mit seinen schwarzweissen, kontraststarken Zeichnungen verdichtet er das Geschehen auf das Wesentliche und treibt so die Geschichte temporeich voran.

 

Ein paradoxes Trio. Emile Griffith heiratet 1971 Mercedes “Sadie” Donastorg. Mit dabei war sein Liebhaber Willson Henderson, ein Stonewall Aktivist. Bild: https://www.stonewallvets.org/EmileGriffith.htm

 

Kleist wollt auch dem politischen Rollback und dem weltweiten Erstarken rechter und homophober Kräfte seine Stimme entgegen setzen. Griffith hatte seinen Gegner im Ring so hart traktiert, dass er an den Folgen starb. Doch Kleist geht es in seinem Buch nicht um die Schuldfrage. «Es geht mir vielmehr darum, wie Emile versucht mit seinem Gewissen weiterzuleben. Er gab sich selbst die Schuld, obwohl er vor Gericht freigesprochen wurde. Mich interessierte eher: Was passiert, wenn jemand homophob angegriffen wird und sich nicht wegduckt, sondern zurückschlägt. Emile hatte es sein ganzes Leben ausgehalten, wenn er schlecht behandelt oder diskriminiert wurde. In einer Situation schlägt er zurück, verliert die Kontrolle über das Geschehen und setzt etwas in Gang, was er sein ganzes Leben bereuen wird.»

So zeichnet Reinhard Kleist das sensible Porträt eines homosexuellen schwarzen Sportlers, der in der Macho-Welt des Boxens zu einem zermürbenden Doppelleben gezwungen war. Emile Griffith war ein Mann der Gegensätze: Ein lebensfroher, positiver Mensch der leidenschaftlich Damenhüte designte, sich aber gleichzeitig getrieben sah, in der harten Welt des Boxens einem Sieg nach dem anderen hinterherzujagen. «Knock Out!» ist die Geschichte eines Kämpfers wider Willen. Es ist die Geschichte eines Knockouts, der ein Leben beendete und ein zweites für immer veränderte.

Der Boxer Emile Griffith ist kein Held ohne Zweifel. Doch gerade das macht ihn so glaubwürdig und stark. Die Authentizität dieses Buches, sein Realismus und die emotionale Wirkung, die Kleist mit seinem Pinsel erzeugt, machen «Knock Out!» zu einem ganz besonderen Lebenszeugnis.

 


Reinhard Kleist
KNOCK OUT! Die Geschichte von Emile Griffith
Mit einem Nachwort von Tatjana Eggeling
Hardcover, 160 Seiten, schwarzweiß
Carlsen Verlag

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